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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Vorteil auf dem heimischen Markt sichern können. Jetzt brachte es viele gegen ihn auf, dass er den Umweg über Frankreich genutzt und sich gewissermaßen über die romanische Hintertreppe in die deutsche Dichtung eingeschlichen hatte. Nationale Ressentiments waren die Folge, und George beeilte sich gegenzuhalten. Im Herbst
1901 nahm er die öffentliche Ausgabe seiner Übertragungen der Fleurs du mal zum Anlass, sich deutlicher als früher von den Franzosen abzusetzen. Der Leser musste den Eindruck gewinnen, dass die Arbeit für den Übersetzer eine abgeschlossene Phase repräsentierte. 6
    Mit dem »Franken«-Gedicht des Siebenten Rings gab George ein Jahrzehnt nach seiner ersten Paris-Reise die abschließende Interpretation seiner Bildung durch die Franzosen. 7 Als es zu Hause für ihn nicht mehr auszuhalten gewesen sei, so hieß es jetzt in der Rückschau, habe er sich seiner väterlichen Vorfahren erinnert: »Da lud von Westen märchenruf..« In Frankreich, der Heimat aller »fremden unerkannten und verjagten«, sei er mit offenen Armen empfangen worden, und dies werde er den Freunden dort niemals vergessen. »Franken« ist beides: Abschiedsgedicht an die französischen Freunde und Verklärung der eigenen Anfänge. Dass Georges Verbindungen nach Frankreich zu diesem Zeitpunkt längst eingeschlafen waren, verhehlte das Gedicht nicht. Nur ein Mal noch reiste er nach Paris, ein paar Tage im März 1908. 8
    In seinen Bemühungen, dem übermächtigen französischen Einfluss eigene Traditionen entgegenzusetzen, war George besonders von Albert Verwey unterstützt worden. Im August 1899 hatte er seinem holländischen Freund bei einem Spaziergang über den Höhen von Bingen eröffnet, dass er sich mit einem großen Gedicht auf den Rhein beschäftige, in das er »sein ganzes deutsches Fühlen und Trachten« hineinlegen wolle. So wie der Rhein als mächtiger Strom zu ihren Füßen dahinziehe und alles symbolisiere, was das deutsche Volk je erfahren und erlitten, getan und gedacht habe, so würden auch die mächtigen Strophen seines Gedichts die große Vergangenheit der Deutschen auf das Prächtigste entfalten. Verwey deutete dies als Versuch Georges, »sich und sein Streben durch eine historisch nachweisbare Herkunft zu bestimmen«. 9
    George suchte jetzt verstärkt nach Beispielen in der Vergangenheit, die seinen Anspruch als Dichter-Führer der Deutschen legitimieren konnten. Gleichzeitig begann er die eigene Entwicklung mehr denn je zu heroisieren und die zehn langen Jahre, die hinter ihm lagen,
als einsamen Kampf um den Sieg des Schönen zu feiern. Mit der dreibändigen Anthologie Deutsche Dichtung (1900-1902), der Veröffentlichung seiner Jugendgedichte (1901) und der Prosasammlung Tage und Thaten (1903) sowie mit den Dante-Übertragungen ab 1901 wurden Traditionslinien geschaffen, die George erstmals auch direkte Stellungnahmen zur Gegenwart erlaubten. Am Morgen des 28. August 1899 fuhr er aus Anlass von Goethes 150. Geburtstag nach Frankfurt und schrieb noch am gleichen Tag das erste seiner später so genannten Zeitgedichte . 10
    Der Prozess, der sich als Prozess der nationalen Selbstwerdung Georges beschreiben ließe, erstreckte sich über einen Zeitraum von fünf Jahren, etwa vom Frühjahr 1899 bis in den Krisenwinter 1903/04. Vieles von dem, was George im Kleinen vollzog, vollzog sich mutatis mutandis auch in der großen Politik. Auch das Deutsche Reich war einem Paradigmenwechsel mit weitreichenden Folgen unterworfen. Das Werk Georges spiegelte wesentliche Tendenzen des nationalen Aufbruchs wider, den es zugleich zu unterlaufen suchte. Georg Lukács hat diesen Dualismus in die einst berühmte Formel »imperialistische Parklyrik« gebracht. 11
    Das Zeitalter des Imperialismus begann für die Deutschen mit einer Rede des neu ernannten Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow. Im Dezember 1897 hatte er im Reichstag einen stärkeren Expansionskurs in der Kolonialpolitik gefordert: Auch Deutschland brauche einen »Platz an der Sonne«. Seinen wichtigsten Verbündeten fand Bülow im umtriebigen Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Alfred von Tirpitz, der den Reichstag schon bald dazu brachte, die erforderlichen Mittel für den Bau einer neuen Schlachtflotte zu bewilligen. Die Nation trat massenhaft dem Flottenverein bei und steckte ihre Kinder in Matrosenanzüge. Vieles nahm sich großartig aus, etwa der durch die Orientreise Wilhelms II. 1898 vorangetriebene Plan zum Bau der Bagdadbahn von

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