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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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zu Gundolf erst, wenn sie als Liebe zum Schönen an sich erkannt wurde. Nur eine Freundschaft, die frei war von Sentimentalität, war über alle Zweifel erhaben. Georges Flucht vor emotionaler Bindung und Gundolfs Hang zur Heldenverehrung hätten sich nicht besser ergänzen können. Aus unterschiedlichen Motiven verfolgten sie gemeinsam das Ideal einer vollständigen Überwindung alles bloß Zufälligen und Individuellen. »Die Ehrfurcht ist von der Liebe nicht mehr zu trennen.« 99 Daraus erwuchs eine in der deutschen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts beispiellose, über zwanzig Jahre währende Arbeitsund Kampfgemeinschaft. Zerbrochen ist sie an dem Tag, an dem George begreifen musste, dass Gundolf einen Menschen gefunden hatte, der ihm wichtiger war als er.

2 Ahnengalerie
    Es war zweifellos eine ungewöhnliche Karriere, auf die Stefan George zur Jahrhundertwende zurückblicken konnte. Zwar handelte es sich keineswegs, wie Wolters später meinte, um einen »unerhörten Siegeslauf«. 1 Aber gemessen an den Zielen, die er sich gesetzt hatte, durfte George mit dem Erreichten mehr als zufrieden sein. Ein sicheres Indiz des Erfolgs war, wie so oft, die Heftigkeit, mit der die Kritik auf ihn und sein Werk reagierte. Den Ton gab Otto Julius Bierbaum vor, der in seinen 1900 erschienenen Steckbriefen George zum »raffiniertesten Grotesktänzer der zeitgenössischen Lyrik« ausrief; der ganze »Tric« bestehe darin, feierlich zu sein und keine Kommas zu setzen. 2 Das war die satirische Form der Ablehnung, mit der George es jetzt ebenso häufig zu tun bekam wie mit der moralischen Empörung. »Solange die kleine Gemeinde Stefan Georges intern blieb, mochte sie ungestört ihre impotenten Orgien feiern«, meinte die Kölnische Zeitung 1899. Jetzt drohten diese Leute aber »zudringlich« zu werden, »und da ist es denn doch an der Zeit, ihnen ein wenig Bescheidenheit beizubringen«. 3
    Was George stärker zugesetzt haben dürfte als der Hohn des Feuilletons, war der Vorwurf, undeutsch zu sein. Diesen Verdacht formulierte als Erster der 25-jährige Arthur Moeller van den Bruck, nach dem Krieg einer der Wortführer der Nationalkonservativen, der mit seinem Schlagwort vom »Dritten Reich« 1923 viel von sich reden machte. In der von ihm bei Schuster & Loeffler herausgegebenen Reihe Die moderne Literatur legte er 1901 unter dem Titel Stilismus eine Doppel-Monographie über Bierbaum und George vor – die erste Veröffentlichung über George in Buchform. Für Moeller-Bruck, wie er sich damals noch nannte, war George »ein Dekorativer großen
Stils«, dem es freilich am Elementarsten fehle, an Leidenschaft, »wenigstens in dem gebräuchlichen und kraftvoll gesunden Wortsinne«. George sei »ein isolirter Romane unter Deutschen«, dessen Wiege »nicht im Schoße seiner und unserer Rasse« gestanden habe, sondern in den Salons der Franzosen. Einem Dichter, »in dessen Adern wirklich und nur deutsches Blut rinnt«, wäre ein so »orientalisches« Buch wie der zuletzt erschienene Teppich des Lebens »einfach unmöglich gewesen«. Obwohl vieles in seinem Werk »wirklich nationale Resonanz habe«, könne seine Dichtung insgesamt ihre undeutsche Herkunft nicht leugnen. 4
    Bereits 1893 hatte sich George in einem Brief an Stuart Merrill über seine Etikettierung als Schüler der Franzosen beklagt: »Früher nannten sie mich einen Schüler Baudelaires, heute bin ich ein Schüler Verlaines, morgen werde ich ein Schüler Mallarmés sein! Kleine Unwissenheiten, die mich amüsieren.« In Wirklichkeit sei es die von ihm verwendete »ungewöhnliche Orthographie (die im übrigen die der Brüder Grimm ist, der deutschesten Männer und der größten Gelehrten)«, die ihm »den Ruf des ›Undeutschen‹ eingebracht« habe. »Wenn ich in meinem Werk den Einfluss der Franzosen benennen soll, dann in einem ganz allgemeinen und weitgefassten Sinn.« Wer die Grundregel beherzige, dass »in der Dichtung die größte Schönheit, Reinheit, Erhabenheit anzustreben sei«, könne in seinen Gedichten wirklich »nichts Ausländisches« finden, »im Gegenteil, es herrscht dort eine Empfindsamkeit, die nur deutsch sein kann«. 5
    Und doch sahen fast alle heimischen Kritiker um 1900 in George den Ziehsohn der Franzosen. Seine Beziehungen nach Paris waren für seinen Aufstieg in der Tat von großem Vorteil gewesen. Unter Berufung auf die Franzosen hatte er die deutsche Dichtung der neunziger Jahre als rückständig qualifiziert und sich so einen entscheidenden

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