Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Göttlichkeit für Andre, als diejenigen, die ihn persönlich kannten, irgendwie glaubhaft machen könnte.« Im Übrigen stelle sich sofort die Frage: »›Erlösung‹ – wovon ? -« Er, Weber, vermute, dass George »aus dem ästhetischen Kloster« nur deshalb herausgetreten sei, um »nach dem Vorbild so mancher andren Asketen die ›Welt‹, die er zuerst geflohen, zu regenerieren und zu beherrschen«. In Ermangelung irgendwelcher Inhalte laufe die ganze Erlösungskampagne am Ende auf ein rein formales Prophetentum hinaus, das seine Erfüllung in sich selbst finde und zu nichts anderem führe als »zu einem wilden Harf engetön«. 56
Ähnlich wie Verwey hielt Weber die Glaubwürdigkeit der Maximin-Darstellung für das entscheidende Kriterium zur Beurteilung der Georgeschen Sendung. Und genau wie Verwey lehnte er es ab, dem, was George als göttliche Offenbarung schilderte, eine allgemeine, über die Person des Dichters hinausgehende Bedeutung beizumessen. Überprüfbar sei die Behauptung, es habe sich bei dem Toten um ein nichtalltägliches Wesen gehandelt, bestenfalls für die engere Gemeinde. Damit war die Konzeption als solche – Erlösung der Welt durch das Wunder Maximin – erledigt. Hatte Weber in seiner Studie über die protestantische Ethik nicht eben erst den Nachweis geführt, dass der Rationalisierungsprozess in der westlichen Welt bereits so weit fortgeschritten war, dass jeder Versuch, das stahlharte Gehäuse durch Wiedereinführung magischer oder kultischer Heilsmittel aufzubrechen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein musste?
Seit der Jahrhundertwende traten allerorten Erwecker und Erlöser auf, die zur Umkehr mahnten und die Überwindung des Ungewissen versprachen. 1902 war in Berlin die deutsche Sektion der Theosophischen
Gesellschaft der Madame Blavatsky gegründet worden. Deren erster Sekretär, Rudolf Steiner, ging zehn Jahre später eigene Wege, weil er die Verehrung des Hinduknaben Krishnamurti als Reinkarnation Christi nicht mittragen wollte. Man konnte sich dem 1906 in Jena ins Leben gerufenen Deutschen Monistenbund anschließen, der die Welträtsel mit Hilfe der Naturwissenschaften zu lösen meinte. Man konnte nach Ascona zu Henri Oedenkoven und Gusto Gräser auf den Monte Verità pilgern, das Paradies aller Kohlrabi-Apostel, wie der Volksmund sie nannte. Oder man huldigte dem noch etwas abseitigeren Klarismus des Elisar von Kupffer, der sich später in Minusio niederließ und dort das »Sanctuarium Artis Elisarion«, einen Tempel der »Initiierten« errichtete. 57
Wo immer man sich einen Neuanfang erhoffte, war die Kunst nicht weit. Vor allem in der Malerei entlud sich das Pathos des Aufbruchs in herbem Kitsch. Bei allen, die jetzt den Zenit ihres Ruhms erklommen, bei Klinger und Hodler und selbst noch beim alten Hans Thoma, stiegen nackte Jünglinge auf hohe Berge und erhoben die Arme gen Himmel. Die Bilder trugen Titel wie »Sehnsucht«, »Empor«, »Dem unbekannten Gott« oder »Blick ins Unendliche«. Zur Ikone der deutschen Weltanschauungskunst wurde das später als Postkartenmotiv der Jugendbewegung beliebte »Lichtgebet«, jener weizenblonde, den Wolken sich ergebende Sonnenknabe von Hugo Höppener, genannt Fidus. 58 Wie 1895 die Vorlage zum Engel des Lebens ikonographisch aus dem Musterbuch der Präraffaelitenschule hätte stammen können, so standen zehn Jahre später die dekorativ heroischen Jünglinge des Jugendstils Pate für Maximin. »Du warst der beter zu den wolkenthronen /…/ Und warst zugleich der freund der frühlingswelle.« 59 Verstärkt wurde das Kunstgewerbliche, das die Maximin-Legende nie ganz los wurde, 60 durch den Lechterschen Zierrat, der sowohl das Gedenkbuch als auch die Erstausgabe des Siebenten Rings schmückte. Der violette Einband, den George bis in die zwanziger Jahre beibehielt, kam den hochgestimmten Bedürfnissen eines säkularisierten Publikums entgegen, das in der Kunst einen brauchbaren Religionsersatz gefunden hatte.
Als ihm Verwey in dem erwähnten Gespräch von 1910 entgegenhielt, ein Dichter dürfe seinen Genius nicht zum Gegenstand allgemeiner Anbetung erklären, meinte George erregt, Maximin könnte auch »ein schwarzer Stein sein oder eine grüne Kugel«. 61 Für ihn zähle nicht das Was, sondern das Wie, nicht der Inhalt des Glaubens, sondern die Hingabe der Gläubigen. »Wenn ich morgen in einem Betsaal am Nollendorfplatz das Bild einer peruanischen Regengöttin aufstellte, kämen sie alle gelaufen.« 62 In der Tat
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