Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
richtete sich das wiedererwachende religiöse Interesse um 1900 in erster Linie auf liturgische Aspekte, auf kultische Formeln und ritualisierte Arrangements, weniger auf Glaubensinhalte. Aber so wenig George das Publikum anlocken wollte, um ihm ein übersinnliches Ereignis glaubhaft zu machen, so wenig lag ihm an der Gründung einer neuen Religion. »George hat dies Wunder keineswegs in dem naiven Sinne begriffen, in dem es aufgenommen wurde.« 63 Für ihn war Maximin zuerst und vor allem Sinnbild menschlicher Erfüllung. Der plötzliche Tod des Jungen hatte ihn in die Lage versetzt, die nicht unproblematische Beziehung glücklich zu Ende zu denken. Dass es sich bei Maximin um eine im Wesentlichen nur in seiner Phantasie vorhandene Beziehung handelte, eine Beziehung post mortem , erleichterte George die Umsetzung ins dichterische Bild und ließ jeden Vergleich mit der Realität pietätlos erscheinen. Maximin wurde so zur Erfüllung seines Traums von Freundschaft, zum Wunder für ihn .
In Georges engster Umgebung wurde so gut wie nie über Maximin gesprochen. In seiner Rezension des Siebenten Rings hat Gundolf die Schlüsselfigur des Bandes nicht einmal erwähnt; in Wolters’ frühen Aufzeichnungen zur Geschichte der Blätter sucht man ebenfalls vergebens. Später distanzierte sich Wolters dann von den »älteren Gefährten«, die das Ereignis »schamhaft als ein rein persönliches Erleben des Dichters umgingen oder in seiner verpflichtenden Unbedingtheit ablehnten«. 64 Morwitz korrigierte ihn. George selbst habe »stets betont, dass es sich hier um eine höchst persönliche Lebenserfahrung handle … Seine Freunde mieden es, ihn über das Maximin-Erlebnis zu befragen.« 65 Georges Privatsphäre war von jeher ein
streng abgeschirmter Bereich. Die Tabuierung Maximins brachte jedoch eine neue Qualität in das Verhältnis Meister – Jünger. »Die ihr mir folgt und fragend mich umringt / Mehr deutet nicht! Ihr habt nur mich durch ihn!« 66
Die Vergöttlichung des Knaben schloss von Anfang an die Selbstvergottung des Propheten mit ein. »Einverleibung« nannte George diesen Vorgang und dichtete in mystischer Verzückung: »Ich geschöpf nun eignen sohnes.« 67 Das Wunder »geheimster ehe« diente von nun an als Beglaubigung seiner Sendung. Für Außenstehende aber blieb hier, im Zentrum des Georgeschen Werkes, eine Leerstelle. Diese Dichtung komme ihm vor, schrieb der katholische Publizist Carl Muth in einem großen Nachruf, »wie eine kunstvoll geschmiedete, mit edlen Steinen kostbar versetzte Monstranz, in der das Heilige fehlt«. 68
Für theologisch weniger geschulte, prosaischer veranlagte Leser lief das Ganze auf nichts anderes hinaus als auf die Verherrlichung der Knabenliebe. Dieses Risikos war sich George durchaus bewusst; so schrieb er Lechter bei der Übergabe des Manuskripts zum Gedenkbuch im April 1905 hellsichtig, das große Publikum werde die Sache »im günstigsten fall scheel ansehen«. 69
Für George war Maximin die Bestätigung alles dessen, wofür er gekämpft hatte, und so teilte er die Weltgeschichte jetzt in die Zeit vor und nach Maximin. Maximin wurde der »Herr der Wende«, der allem bisherigen Geschehen Sinn und Bedeutung verlieh und für alle Zukunft die Richtung vorgab. Mit der Feier seiner ewigen Jugend wurde, zehn Jahre nach Maximilian Kronbergers Tod, das Regelwerk der neuen Gemeinschaft, der Stern des Bundes, eröffnet:
Du stets noch anfang uns und end und mitte
Auf deine bahn hienieden, Herr der Wende,
Dringt unser preis hinan zu deinem sterne. 70
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Als George ein Jahr nach Kronbergers Tod das Manuskript des Gedenkbuchs an Lechter schickte, scheint ein Großteil der Gedichte auf Maximin vorgelegen zu haben. Aber erst anderthalb Jahre später, im September 1906, war die Druckvorlage des Siebenten Rings fertig. Die Ordnung der Gedichte zu einem Zyklus und die Zusammenstellung weiterer Zyklen um diesen zentralen Zyklus herum zu einem neuen großen Buch kosteten George unendlich viel Mühe. Das Material, aus dem er schöpfte, reichte zurück bis in die frühen neunziger Jahre, die Zeit mit Ida Coblenz (»An baches ranft / Die einzigen frühen / Die hasel blühen«). 71 Die gewaltige Stoffmenge suchte George mit Hilfe der Zahl Sieben zu ordnen: Sein siebter Band, erschienen 1907, sieben Jahre nach dem Teppich des Lebens , bestehend aus sieben Zyklen, deren jeder eine durch sieben teilbare Anzahl Gedichte enthielt. Das Ergebnis blieb unbefriedigend. George selber sprach später vom
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