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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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»Chaos« des Siebenten Rings . 72 Das Buch platzte aus allen Nähten, und noch heute steht es ein wenig ungebärdig zwischen den streng komponierten, vergleichsweise schlanken Nachbarbänden Teppich und Stern .
    Drei Grundtendenzen bestimmen den Band und durchziehen ihn von den Zeitgedichten bis zu den Tafeln : der Kampf des Lichts gegen die Finsternis, der oberen gegen die unteren Mächte, der Sieg über das kosmische Chaos; dann die vaterländische Wendung des Verfassers, der ein durch und durch deutsches Buch vorlegen wollte, aus dem jeder fremde Einfluss – und das hieß jetzt auch: jeder Ästhetizismus – verbannt war; und, drittens, die Übertragung des bis dahin nur für das Gebiet der Kunst formulierten Führungsanspruchs auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Fortan gibt nur einer den Namen, hält nur einer das Maß, heißt es am Ende des Bandes in einem Jahrhundertspruch : »In jeder ewe / Ist nur ein gott und einer nur sein künder.« 73
    Was an solchen Zeilen heute so irritiert, wenn man sie nicht von vornherein als wahnhafte Verirrung abtut, ist die fehlende Distanz ihres
Verfassers zu sich selbst. Hier spricht nicht ein lyrisches Ich in Bildern, die den Leser bezaubern wollen. Hier spricht ein autoritäres Ich, das identisch ist mit der Person Stefan George. »Euch all trifft tod. Schon eure zahl ist frevel« 74 – wer solche Verse schreibt, unterscheidet nicht mehr zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten. Genau hierin aber lag für viele Zeitgenossen die Authentizität Georges. Wer so sprach, sprach in höherem Auftrag, oder, wie es in den Schlussversen des Maximin -Zyklus hieß: »Ich bin ein funke nur vom heiligen feuer / Ich bin ein dröhnen nur der heiligen stimme.« 75 Der Siebente Ring , den Claude David »eines der gequältesten, widersprüchlichsten und unergründlichsten« Werke der Literatur nannte, 76 hat bald nach seinem Erscheinen die Leserschaft gespalten. Das am breitesten angelegte und sprachmächtigste Buch Georges wurde sein anstößigstes, und ist es bis heute geblieben.
    Der zweite Zyklus, Gestalten , zählt zu den ungestümsten, in der Radikalität seiner Bilder eindringlichsten Zyklen des gesamten Werks. George hat in diesen 14 Gedichten das kosmische Treiben beschrieben, die Wehen, wenn man so will, die der Geburt Maximins vorausgingen. Die Titel lauten: »Sonnwendzug« und »Hexenreihen«, »Die Kindheit des Helden« und »Der Eid«. Das letzte heißt »Einzug« und beginnt: »Voll ist die zeit, / Weckt was gefeit / Schlief mit dumpfem gegrolle.« 77 George beschwört die dunklen Mächte der Vergangenheit, um sie endgültig zu überwinden und dadurch zugleich für die Vision einer neuen, lichten Ordnung fruchtbar zu machen. Nirgendwo steht er stärker unter dem Einfluss gnostischen Denkens als hier. Aus dieser Spannung, die sich auch in der dialogischen Form von vier Zwiegesprächen spiegelt, entfaltet der Gestalten -Zyklus seine Dynamik.
    Das »Templer«-Gedicht, »Die Hüter des Vorhofs« und »Der Widerchrist« bilden die zentrale Trias des Zyklus. In diesen drei Gesängen liegt die Keimzelle dessen, was George bald nach Veröffentlichung des Siebenten Rings seinen »Staat« nennen wird. 78 Zwischen 1907 und 1914 entwickelte dieser »Staat« ein in sich geschlossenes Wertesystem, das zunächst ausschließlich antagonistisch definiert
war, das heißt über einen grundsätzlichen, nicht aufzulösenden Widerspruch zu allem, was außerhalb dieses Staates lag. Was wie ein fundamentaler Angriff auf die Bastionen der bürgerlichen Welt aussah und von der Leserschaft auch so verstanden wurde, diente in erster Linie der Konsolidierung dieses Staates nach innen.
    In den drei genannten Gedichten finden sich die ersten entscheidenden Hinweise auf das, was George am Ende zu einem vollständigen Erziehungsprogramm, dem Stern des Bundes , ausbauen wird. Das »Templer«-Gedicht illustriert am historischen Beispiel »den Gegensatz der Wenigen zu den Vielen«. 79 Die Wenigen unterscheiden sich dadurch, dass sie, anders als die Vielen, den Gesetzen der Natur nicht unterworfen sind. Schon Algabal wollte die Natur ausschalten, indem er sie überwand. Widerstand gegen die Natur, das Widernatürliche an sich, wird jetzt zum wesentlichen Kriterium. »Eine ganz und gar unmenschliche, ja jeder Menschlichkeit fremde Sache«- die Sodomie nämlich – war einer der Hauptanklagepunkte in dem 1307 durch den König von Frankreich ausgelösten Prozess gegen die Templer, der 1312 zur

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