Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
… wusst ich nichts. Ich seh schon kommen wie die Kleinsten der
Kleinen, die Ältesten der Alten und die Schatzsucher, Goldsucher und Küchenschreiber unsern Fahnen folgen; was dann aus den stillen bahnen der Kleinen Schaar werden wird?« 4 Im Umfeld Georges war man auf der Hut vor »den Süchtlingen«, 5 aber so wenig man sich ihnen und ihrem Beifall zu entziehen vermochte, so schutzlos war man auf der anderen Seite denen ausgeliefert, die in denunziatorischer Absicht den § 175 bemühten. Es sei die »gleichgeschlechtliche Liebe«, verbreitete der Theaterkritiker Alfred Kerr 1905 in seiner Besprechung der Zeitgenössischen Dichter , die »Stefan Georges Vettern« im Innersten verbinde. 6 George gehöre zu jenen »Naturen, die aus ihrer Schwäche ihre Stärke machen«, hieß es gut zwei Jahre später in der Besprechung des Siebenten Rings durch den Kunstwart . Der Rezensent ließ keinen Zweifel daran, welche Schwäche gemeint war: »Die Unfähigkeit zur naturgewollten Geschlechterliebe – es soll bei diesem recht wesentlichen Punkt nicht weiter verweilt werden – muss die reine Freundschaftsneigung … zu gleichgeschlechtlicher Götzenanbetung verzerrend steigern.« 7 George hielt es für klüger, nicht gegen solche Artikel vorzugehen. Ein einziges Mal ließ er durch Gundolf Anzeige wegen übler Nachrede erstatten: 1914 gegen den Verleger Kurt Wolff. 8
Auch wenn sich die wenigsten trauten, die Sache beim Namen zu nennen, hinter vorgehaltener Hand liefen Gespräche über George jetzt häufig auf die Frage hinaus, wie er und die Seinen es wohl mit den Knaben hielten. Der eigentümliche Reiz des erotisch Anstößigen kam hier ins Spiel. Er verlieh allem, was mit George zu tun hatte, auch in den Augen derer, die sich dafür nur mäßig interessierten, die Aura des Verbotenen. Das Werk selbst blieb schillernd und hielt bis hin zu den letzten Gedichten die Mitte zwischen esoterischer Geheimlehre und offen propagiertem Freundschaftskult. Jeder Text, der homoerotische Botschaften transportiert, bietet nach Heinrich Detering zwei Lesarten: eine für den Eingeweihten, der allerdings über das entsprechende »Vorwissen« verfügen muss, und eine für denjenigen, der »auf dem Wortlaut der zitierten Textstelle beharrt, die vermeintliche Evidenz für trügerisch erklärt und sich kategorisch weigert, in Georges ›Freundschaft‹ erotische Liebe wahrzunehmen«. 9 Ob sich ein Leser
auf homoerotische Identifikationsangebote einließ und die von den Gedichten ausgehenden Signale aufgriff oder eine allgemeinere, stärker an der Bildung orientierte Interpretation vorzog, war also letztlich eine Frage der persönlichen Disposition und des individuellen Geschmacks. Es spricht für die Größe der Georgeschen Dichtung, dass sie wirkungsvoll ist auch ohne die Kenntnis dieser Hintergründe – ja selbst trotz dieser Kenntnis, denn Homosexualität dürfte nicht wenige Leser abgeschreckt haben.
Viele wollten von einer Ambivalenz der Texte freilich nichts wissen und unterstellten ein eindeutiges Kalkül. George sei in Wirklichkeit gar kein Dichter gewesen, schrieb Ludwig Klages 1940: »Er war und blieb bis ans Ende Liebhaber, Liebhaber gebildeter, ephebenhafter Jünglinge und Liebhaber des Fügens schwieriger Verse und sauberer Reime, die unter anderem bestimmt sind, jene Jünglinge zur Nachahmung der eigenen Liebhaberei anzuleiten.« 10 Rudolf Borchardt hatte kurz zuvor in die gleiche Richtung argumentiert: »Der homosexuelle Dichter ist nicht ein Dichter, der übrigens so homosexuell ist wie ein grünäugiger Dichter ein Dichter der übrigens grüne Augen hat. Er ist ein Homosexueller der übrigens ein Dichter ist« und der sich der Dichtung als eines Hilfsmittels bediene, um seinen »irrgelegten Trieb« zu befriedigen. 11 Und Max Kommerell, über viele Jahre der nächste Freund Georges, notierte nach der Trennung: »Extremster Verdacht: hat nicht George die individuell geistig erotische Bedingung der Existenz umgedeutet in eine objektive Erziehungsidee … ist der Kreis, der sich so ungeheuer objektiv gibt, nicht einfach der Atemraum Georges?« 12
Es war zweifellos die Leidenschaft für junge Männer und Knaben – die süddeutschem Sprachgebrauch entsprechend grundsätzlich nur Buben genannt wurden -, die George stärker umtrieb als alles andere. Insofern dürften Klages, Borchardt und Kommerell das Richtige getroffen haben. Dennoch führt es in die Irre, in der Homosexualität das entscheidende Kriterium für die Zusammensetzung
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