Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
hatte Morwitz bereits selber nach geeigneten Knaben Ausschau gehalten. Ende 1907 waren ihm die Grafen Uxkull, Bernhard und Woldemar, auf der Straße aufgefallen; sie wohnten mit ihrer Mutter wenige Häuserblocks entfernt, im Bayerischen Viertel von Berlin. Bernhard war acht, Woldemar, der von Morwitz »Spatz« gerufen wurde, neun Jahre alt. George fand das reichlich jung. Er »scherzte manchmal, dass Ernst seine Zöglinge schon in so frühem Alter wähle«, wo doch gar nicht auszumachen sei, ob sich der Einsatz am Ende lohne. 57 Und noch in anderer Hinsicht zögerte George: Kindern und jungen Leuten aufgrund ihrer adeligen Abkunft einen Bonus einzuräumen. Nach seiner Überzeugung war der Adel mit der Französischen Revolution ausgeblutet, selbst alter Adel sei »in Wahrheit Dienstadel«. 58 Statt auf blutsmäßige Abkunft setzte er auf eine Kontinuität im Geistigen, geistigen Adel sozusagen, den er als Erkennungsmerkmal allerdings für mindestens ebenso prägnant hielt wie Wappen oder Siegelring. 1908 formulierte er, wohl als Ergebnis seiner Gespräche mit Morwitz über die Uxkulls, seine Skepsis in Bezug auf die Rolle des Adels beim Aufbau seines Staates:
Neuen adel den ihr suchet
Führt nicht her von schild und krone! /…/
Stammlos wachsen im gewühle
Seltne sprossen eignen ranges
Und ihr kennt die mitgeburten
An der augen wahrer glut. 59
Morwitz hielt engen Kontakt zur Mutter, der Schriftstellerin Lucy Ahrenfeldt, die ihm zwar die Aufsicht über die Erziehung ihrer beiden Söhne überließ, aber doch misstrauisch blieb. »Die Mutter hat mich um Deine Bücher gebeten«, unterrichtete Morwitz den im Hintergrund sich haltenden George im Dezember 1910. 60 Obwohl ihnen Morwitz viel Nachhilfe gab – »Sie sind den ganzen Tag bei mir«, heißt es in einem weiteren Bericht an George ein Jahr später -, 61 blieben die schulischen Leistungen seiner Zöglinge immer deutlicher hinter den Anforderungen zurück. 1912 wechselten sie auf das von Morwitz empfohlene Internat Ilfeld am Südhang des Harzes und kamen nur noch in den Ferien nach Berlin. Im Oktober 1916, als Morwitz in den Lazaretten von Flandern Dienst tat, übernahm George dann selbst die Führung der beiden Brüder, die inzwischen 17 und 18 Jahre alt waren. Morwitz stehe ihm deshalb so nahe, meinte George, »weil er Menschen formt wie ich«. 62 Die »Arbeitsteilung« zwischen beiden bewährte sich auch in späteren Jahren, weil sich die pädagogische Fürsorge von Morwitz auf die Phase der Pubertät konzentrierte. »Du hast Recht mit der Erwägung, dass ich mich um meine Menschen nur bis zur Mündigkeit verantwortlich sorge«, schrieb er George einmal. »Darüber hinaus reichen mir Kraft und Können nicht und ich fürchte, ihnen nichts Ausfüllendes bieten zu können, es sei denn dass die Überleitung in Dein Reich glückt.« 63
Morwitz und Boehringer zählten zu den Ausnahmefiguren unter den Freunden Georges; nur Gundolf, der in beiden Fällen von Anfang an einbezogen war, stand ihm eine ähnlich lange Zeit ähnlich nah. Strukturell lag diesen Beziehungen jedoch das gleiche Muster zugrunde, das auch den Umgang mit anderen jüngeren Freunden der Vorkriegszeit prägte. Einschlägige Erinnerungen an die Jahre 1909 bis 1914 haben u.a. hinterlassen:
- Herbert Steiner , 1892 als Sohn eines vermögenden Kaufmanns in Wien geboren. In einem Brief an Friedrich Gundolf vom Januar 1908 brachte der 15-Jährige seine Bewunderung für dessen Gedichte in den Blättern zum Ausdruck; ein gutes Jahr später fuhr
George nach Wien, um ihn sich anzuschauen. Im Februar 1910 war Steiner knapp eine Woche Gast Georges im Dachgeschoss der Wolfskehlschen Wohnung in Schwabing. »Er entließ mich mit der Warnung, ich möge mich ja nicht dem frevelhaften Glauben hingeben, ich wisse nun alles von ihm und den Seinen«, erinnerte sich Steiner. Es gebe da »eine Sache, von der ich dir noch mit keinem Wort gesprochen habe«, so George zum Abschied, »dies war nur die erste ›Initiation‹«. 64 Steiner hat George nicht wiedergesehen. Nur das Gedicht, das dieser ihm in den Tagen ihres Zusammenseins einmal kurz gezeigt hatte, fand er vier Jahre später im Stern des Bundes wieder: »Wer soll dich anders wünschen wenn du so / Dein haupt mit lächeln senkst und schwank dich drehst / Zu volle blume auf zu zartem halme?« 65 – Steiner widmete sich nach dem Krieg der schönen Literatur, gab ab 1930 in der Schweiz die Zeitschrift Corona heraus, ging während des zweiten Krieges in die USA und
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