Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
meine Hand. Und nun kam etwas, worüber ich nicht mehr Herr war … Ich wußte, der Mensch tut dir Gewalt an – aber ich war nicht mehr stark genug. Ich küßte die dargebotene Hand und mit versagender Stimme flüsterte ich: »Meister, was soll ich tun?« Er zog mich an seiner Brust empor, umarmte mich und küßte mich auf die Stirne. Er hielt mich stark und ich ihn. Leise sagte er immerfort: »Junge, lieber Junge. Lieber.« Wie ich dies aushalten konnte, heute weiß ich es nicht mehr. 68
Vier Tage später lud George Glöckner zu einer gemeinsamen Reise nach Schloss Banz ein. Er hoffte, Glöckner von Bertram trennen und ganz für sich gewinnen zu können, und Bertram machte sich schwere Vorwürfe: »Was mußte ich Dich auch wieder allein lassen, ich habe die Schuld.« 69 Am Ende akzeptierten beide Liebhaber stillschweigend das Dreiecksverhältnis und bemühten sich, ihre Eifersucht zu verbergen. 70 Weil Glöckner an Bertram festhielt, bestand in den Jahren der größten Nähe zwischen ihm und George, 1916 bis 1918, auch der intensivste Austausch zwischen George und Bertram. Es ist die Zeit der Entstehung von Bertrams Nietzsche , einem der einflussreichsten unter dem Blätter-Signet erschienenen Bücher, die bis heute mit dem George-Kreis identifiziert werden. Glöckner hatte Bertram zu diesem
Buch angeregt, um ihn einerseits aus tiefen Depressionen zu befreien und ihm andererseits die Möglichkeit einer direkten Zusammenarbeit mit George zu eröffnen. Dieser ließ sich einzelne Kapitel vorlesen, äußerte sich im Großen und Ganzen zustimmend, überzeugte Bertram auch von der Notwendigkeit eines neuen Untertitels (»Versuch einer Mythologie« statt »Die Musik des Sokrates«) und setzte sich schließlich bei Bondi für das Erscheinen ein. Aber weder das Thema noch der Autor waren ihm wirklich wichtig. Dass er Bertrams Ansatz gründlich missverstand, wurde bereits im April 1917 deutlich, als er in größerer Runde behauptete, das im Entstehen begriffene Nietzsche-Buch laufe auf eine kritische Überprüfung dessen hinaus, »was an Nietzsche noch Geltung habe«. 71 Mit seinem Einsatz für das Manuskript trug George vor allem zur Stabilisierung des komplizierten Verhältnisses zwischen Bertram, Glöckner und sich bei. Gut ein Jahr nach der Publikation äußerte Bertram gegenüber Glöckner denn auch den nicht unbegründeten Verdacht, »es habe sich bei alledem gar nicht um mich gehandelt, sondern um eine Form der Annäherung an Dich«. 72
4
Jedes der hier skizzierten Verhältnisse folgte einem anderen inneren Gesetz und nahm einen anderen Verlauf. Dennoch lässt sich eine ganze Reihe übereinstimmender Merkmale herausfiltern. Intensität und Dauer der jeweiligen Beziehung hingen in erster Linie vom Grad der persönlichen Ergriffenheit und Zuneigung Georges ab. Diese konnte von Anfang an heftig sein, wie seinerzeit bei Gundolf, wohl auch bei Boehringer, zuletzt bei Glöckner; sie konnte aber auch mit den Jahren allmählich wachsen, wie im Fall Morwitz, bei Brasch oder Thormaehlen. Wenn der Jüngere die Begegnung als das entscheidende Ereignis seines Daseins begriff und dies George gegenüber auch zum Ausdruck brachte – mündlich, schriftlich, im Gedicht -, war eine wesentliche Voraussetzung der Freundschaft erfüllt. Herbert
Steiner ließ genau das vermissen. »Schreiben Sie mir doch einmal einen wirklichen Brief«, mahnte Gundolf zwei Monate nach Steiners Zusammensein mit George, »seit Sie von München weg sind, habe ich nur ein paar hingeworfene Notizenzettel bekommen, aus denen ich mehr ersah was Ihnen gerade durch den Kopf fuhr als wie Sie sind, was Sie treiben und leben. Sehen Sie, lieber Herbert, das ists ja was uns umso mehr Sorge macht, je mehr wir an Ihnen teilnehmen, dass Sie immer noch dies Wienerische Hinundherfahren nicht lassen.« 73
George versäumte es nicht, die Jungen auf die außerordentliche Bedeutung ihrer Begegnung mit ihm hinzuweisen. »Die Luft war süß wie Honig, ein Amselruf tönte in die Röte und mir war wunderlich leicht, da ich neben ihm herging, und er mich ansah, stehen blieb und auf mich einsprach von dem Wunder, das ich erleben durfte, von dem Wunder, an das man nicht mehr glaubte und das doch noch käme wie einst in den mythenbildenden Zeiten.« 74 Wer sich den von George evozierten Stimmungen anheimgab, hatte die erste Hürde passiert: »Der schauer der ergriffenheit war so das einzige kennzeichen der wahl.« 75 Später wurde für diesen Augenblick des ersten gemeinsamen
Weitere Kostenlose Bücher