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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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der Schlegel-Tieckschen
Übersetzung, die der Überprüfung nicht standhielten, sollten neu übertragen werden. George nahm sich unverzüglich die Sonette vor (deren Eindeutschung Gundolf kurz nach ihrer Bekanntschaft gründlich verhauen hatte) und stellte für das Übrige seine Mitarbeit in Aussicht. Als der von Bondi als Gutachter hinzugezogene Anglist Ende 1907 schwere Einwände gegen die ersten Übersetzungsproben erhob, erbat sich Gundolf erstmals Rückendeckung »von der höchsten aesthetischen Instanz«. 37
    George hat seinen Anteil an der Arbeit gern betont, und nicht umsonst war er an den Einnahmen zur Hälfte beteiligt. Wenn Gundolf mit den Vorlagen gekommen sei, habe er ihm nach Durchsicht jedes Mal erklären müssen: »Nein Gundel, so geht es nicht«, und die Arbeit dann selber gemacht. 38 Noch zwanzig Jahre später berichtete er, »wie er dem Leichtfuß Gundel sein Othello-Manuskript zurückgesandt habe: Er hatte einen Riesenbogen mit drei Farben Tinte für Text, Tieck-Übersetzung, Gundolf-Übersetzung genommen und ihm alle Flüchtigkeiten angemerkt. Für zehn Verse ein ganzer Bogen voll Anmerkungen!« 39 In den Sommerferien 1907 arbeiteten sie zusammen am Coriolan . Ein Jahr später, als sie sich erneut in Wolfenschiessen (zwischen Stans und Engelberg) einquartierten, nahmen sie sich Romeo und Julia vor. »Wegen der Zotereien und Wortspiele« traten hier besonders viele Probleme auf, und wieder machte George »aus dem etwas latschigen Gundelthon recht marmorne Gebilde«. 40 Für George war Romeo und Julia »das Genialste, was in der Dichtung überhaupt vorkommt«. 41 Einige besonders schöne Stellen hat er selbst übersetzt, und sicher auch die Schlusszeilen: »Denn keine Mär erregt das Mitleid so / Als die von Julia und Romeo.« 42
    Ziel der jahrelangen gemeinsamen Arbeit war nicht die Verbesserung von Einzelstellen, sondern »die dichterische Erneuerung der Hauptwerke«. Schlegels historische Leistung sei unbestritten, aber seine Übersetzung bewege sich nun einmal in den »Erlebnisgrenzen« seiner Zeit, hieß es im späteren Vorwort. Die »dem Rokoko und der Romantik noch verschlossenen Tiefen Shakespeares« könnten erst jetzt, »von einer neuen Mitte« her zugänglich gemacht werden: »Unsere
Übersetzung ist entstanden, weil heute in Deutschland ein neuer dichterischer Geist lebt.« 43
    Ein Viertel des Shakespeareschen Werkes wurde neu übersetzt beziehungsweise gründlich überarbeitet, das Übrige durchgesehen. Ziel war die größtmögliche Annäherung an das Original bis ins Klangliche, die Ersetzung des Geläufigen durch das Ursprüngliche, die Neubestimmung des dichterischen Gehalts. George und Gundolf konnten sich bei diesem Vorhaben auf Goethe berufen, der geschrieben hatte, Shakespeare gehöre »notwendig in die Geschichte der Poesie; in der Geschichte des Theaters tritt er nur zufällig auf«. 44 Dass die weiblichen Reime in der Regel durch männliche ersetzt und die lästigen Füllworte ausgemustert wurden, tat den Stücken gut. Ein ausgeprägter Nominalstil, gewollte Archaisierungen und preziöse Wortneubildungen gingen jedoch eindeutig zu Lasten der Lesbarkeit. Der Übersetzer sei »ein solcher Wortfanatiker, dass er der Freude an der Kühnheit des Wortes getrost den Sinn der Stelle opfert«, schrieb der Rezensent der Zukunft . »Auf dem dünnen Seil zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen« verliere er deshalb allzu oft die Balance. 45

3
    Im Frühjahr 1907, als George mit der Übersetzung der Sonette begann, waren die ersten jüngeren Freunde des neuen Staates bereits gefunden: Robert Boehringer, 1884 im württembergischen Winnenden geboren, und Ernst Morwitz, 1887 in Danzig. Beide blieben dem Dichter ein Leben lang verbunden, Morwitz als »der Nächste Liebste«, 46 Boehringer über Georges Tod hinaus als Universalerbe. Beide machten steile Karriere: Morwitz als Jurist, der im September 1930 zum Kammergerichtsrat am preußischen Kammergericht, dem Oberlandesgericht Berlin als oberstem Gericht Preußens, ernannt wurde und damit »eines der höchsten Richterämter im preußischen Staat« bekleid ete; 47 Boehringer als Berater der Pharmaindustrie, der das Unternehmen
seiner Vettern in Ingelheim durch den Ersten Weltkrieg steuerte, in den zwanziger Jahren für Hoffmann-La Roche tätig war und nach dem zweiten Krieg 25 Jahre die Firma Geigy beriet. 1910 promovierten sie: Boehringer mit einer Arbeit über die Lohnämter in der australischen Provinz Victoria, Morwitz Über die

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