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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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um jeweils denjenigen aufzusuchen, zu dem er sich im Augenblick am meisten hingezogen fühlte. Da es unter den Freunden nur wenige Querverbindungen gab und kaum einer wusste, mit wem er gerade zusammen war, entwickelte sich allmählich die Vorstellung, dass George ununterbrochen in Staatsangelegenheiten unterwegs war. Von daher auch die Geheimniskrämerei um seinen jeweiligen Aufenthaltsort, den meist nur die kannten, die ihm die Post nachschickten, Gundolf und die Schwester.
    Jeder gab sein Bestes, wollte der Beste sein. Persönlicher Ehrgeiz freilich wurde nur in Maßen geduldet. Rivalitäten, die auf Kosten der Gemeinschaft ausgetragen wurden, waren ebenso verpönt wie individuelle Ansprüche an George. Vor allem hatte man sich vor der Eifersucht
zu hüten. Ließ Georges Aufmerksamkeit nach, musste man seine Gunst auf anderen Wegen neu zu gewinnnen suchen. Vielen ist das nicht gelungen, weil George es als lästig empfand, ein Verhältnis weiterzuführen, das sich in seinen Augen erschöpft hatte. Da aber jeder George so nah wie möglich sein wollte, gab es einen andauernden Wettstreit, der sogar diejenigen erfasste, die ihm niemals wirklich nah gewesen waren. Dem Meister konnte es recht sein, ja, er förderte das agonale Prinzip nach Kräften, solange er sicher war, dass durch den Kontakt und Austausch der Freunde untereinander die Verehrung für ihn noch wuchs. »Sind zwei zusammen, so reden sie von Dir.« 81 Da auch Verbindungen der Freunde untereinander grundsätzlich von ihm gebilligt sein mussten, behielt George jederzeit den Überblick und konnte eingreifen, wann immer er es für sinnvoll hielt. »Er schien sich an der Überraschungslage zu weiden«, erinnerte sich Thormaehlen an den Moment, als George ihn das erste Mal mit Morwitz zusammenbrachte, »und seine Freude zu haben an dem stummen Sichmessen seiner beiden Gäste.« 82
    Auch wenn einige Freunde, insbesondere Gundolf und Morwitz, deutlich vor anderen rangierten, galten untereinander alle gleich. Wie hoch einer im Kurs stand, bemaß sich ausschließlich nach dem Grad der Aufmerksamkeit, die ihm George gerade zuteil werden ließ. Die unsichtbare Krone trug in der Regel jeweils der Letzte in der Reihe, der meist auch der Jüngste war, der dann oft in die Wahl des nächstfolgenden einbezogen wurde. Viele Jüngere empfanden als Höhepunkte im Leben mit dem Meister jene Momente, in denen George sie auf Knaben hinwies, die zu beobachten sich lohne. »Wochen hindurch spürten wir ihm nach, stundenlang, und folgten seinem wiegenden gang«, heißt es in den Erinnerungen von Brasch über den 13-jährigen Hans Troschel, den George im Westen Berlins »entdeckt« hatte. 83 Der Architekt Paul Thiersch wurde gebeten, als Berufskollege des Vaters Troschel den Kontakt herzustellen. In Thierschs Atelier fotografierte Thormaehlen den Jungen, während Morwitz den Vater unterhielt; George selbst zeigte sich nicht und hat mit Hans Troschel wohl auch nie ein Wort gewechselt. Ein halbes Jahr später,
als George mit Brasch ein paar Ferientage in Camogli verbrachte, wurde der Zeitungsjunge des Ortes in kurze Gespräche verwickelt und dann ebenfalls fotografiert. George muss eine stattliche Sammlung solcher Aufnahmen und in Einzelfällen wohl auch entsprechende Adressen besessen haben. Als Brasch Richtung Süden weiterreiste, nannte George ihm einen Jungen in Neapel, den er sich unbedingt anschauen solle. »Wie der Herr von Tod und leben« ziehe dieser Schöne »die fremde seele nach an feinem faden / mit der schwarzen wimpern wink«. 84
    Das gemeinsame Aufspüren und Stellen hübscher Knaben gehörte zu den elementaren Erfahrungen des Freundeskreises. Im Sommer 1921 standen Gundolf, Morwitz, Woldemar von Uxkull und ein weiterer Freund am Bahnhof in Würzburg. »Gundolf unterbrach ein lebhaftes Gespräch und wandte ganz gegen seine Gewohnheit den Blick auf die Erscheinung eines Knaben. ›Maximin‹, flüsterte er, und alle schwiegen. Später hörte ich den Meister von Würzburg als einer heiligen Stadt sprechen.« 85 Wenn der Elite-Gedanke des George-Kreises irgendwo festzumachen ist, dann in der stillschweigenden Übereinkunft, dass der zugrunde liegende Trieb ein pädagogischer war. Die Liebe zu den schönen Knaben musste über alle Begierden des Fleisches erhaben sein: Nur unter dieser Voraussetzung konnte die geistige Zeugung in die Wege geleitet werden. Weil es nichts Reizvolleres gab als einen solchen Schönen heranzuziehen und für die Gemeinschaft zu gewinnen, blieb

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