Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Gedichte mit einer Länge von sieben bis vierzehn Versen, davon jedes zehnte gereimt, tausend Verse genau – der Gipfel Georgeschen Formwillens. »Man findet keinen Ansatz,
um diese Dichtung zu definieren«, kapitulierte Claude David, listete aber immerhin ein paar Stichworte zur Form auf: liturgische Monotonie bei vollkommener Schmucklosigkeit, Verzicht auf Preziosität und Pathos, scheinbare Nachlässigkeit; stattdessen Meditation und Gebet, magische Beschwörung, welche die Sprache auf ihren Kern reduziert und selbst Symbole nur noch als rhetorische Mittel einsetzt. 91
In den Gedichten des Eingangs wird der Gründungsakt besungen, dem der Freundeskreis seine Entstehung verdankt, das Erscheinen Maximins. Schon das erste Gedicht lässt keinen Zweifel am liturgischen Charakter des Ganzen. »Da troff erfüllung aus geweihten händen / Da ward es licht und alles sehnen schwieg.« 92 Bei Maximins plötzlichem Tod bleibt der Gemeinde als Trost zunächst nur: »Mein anhauch der euch mut und kraft belebe / Mein kuss der tief in eure seelen brenne.« Allmählich begreifen die Zurückgebliebenen, dass Maximin mit seinem Tod den langen Weg des Meisters belohnte und damit ihre Runde überhaupt erst ermöglichte: »Lasst was verhüllt ist: senkt das haupt mit mir: / ›O Retter‹ in des dunklen grauens wind.« Und so wie Maximin durch den Meister zum Gründer der Runde wurde, so wird er eines Tages zum Retter für alle werden: »Du geist der heiligen jugend unsres volks!«
Im Ersten Buch wird der beschwerliche Weg geschildert, den George seit seinen frühesten Anfängen zurückgelegt hat. Schon in der Wiege ward ihm ein Leben als Herrscher vorausbestimmt. In der Gewissheit, erwählt zu sein, fügte er sich »der not des wandertumes«. Damals, so spricht die Vorsehung zu ihm (und er zu sich selbst), »Warst ein verstossner du in klammer luft / Und trugest als der eine aller qual«. Da er aber »in jedem werk dem frühsten traum« gefolgt ist und sich nicht vom Ziel hat abbringen lassen, kam ihm Erfüllung: »Nennt es den blitz der traf den wink der lenkte: / Das ding das in mich kam zu meiner stunde..«
Geht es im ersten Zehnt um George selbst, so kommen im zweiten Zehnt die zivilisatorischen Auswüchse der Zeit zur Sprache. »Nur sie die nach dem heiligen bezirk / Geflüchtet sind auf goldenen triremen« werden Gnade finden vorm Herrn. Dem verführerischen
Überfluss – »Alles habend alles wissend seufzen sie« – werden »die wilden dunklen zeiten« des Mittelalters als eine immerhin gottgläubige Epoche entgegengesetzt. Dann die berüchtigten Zeilen gegen Fortschrittsglauben und technologischen Wahn: »Zehntausend muss der heilige wahnsinn schlagen / Zehntausend muss die heilige seuche raffen / Zehntausende der heilige krieg.« Angesichts solcher Visionen überfallen selbst den Dichter Schauer, »als legte / Sich eine flache klinge mir aufs haupt«. Nietzsche wird als Zeuge aufgerufen: »Der warner ging.. dem rad das niederrollt / Zur leere greift kein arm mehr in die speiche«. Keine Rettung, nirgends – »Weltabend lohte«.
Die letzten zehn Gedichte des Ersten Buches rühmen die Gefährten von einst: »Helfer von damals! Richttag rückt heran.« Jetzt, wo »Das härtste meist geglaubter dauer wankt«, wird sich entscheiden, ob die »Schwärmer« den neuen Weg mitzugehen bereit sind. Aber der Schnitt ist radikal: »Wir sind hinüber und ihr bliebet dort.« Ob Juden oder Germanen, Derleth oder Schuler, sie alle bleiben auf halber Strecke liegen, verlieren sich in ihren Phantasien. Was ihnen fehlt, ist die Konsequenz, der Mut zur Tat, die Umsetzung ins Bild, und so endet das Erste Buch : »Die Tat ist aufgerauscht in irdischem jubel / Das Bild erhebt im licht sich frei und nackt.«
Das Zweite Buch führt in die Mitte der Georgeschen Welt. Es ist »das Buch der Initiation« und beschreibt »die Einführung der Novizen in die Mysterien«. 93 Die im ersten und zweiten Zehnt konsequent durchgehaltene dialogische Form und die persönliche Ansprache des Novizen stellen ein intime Gesprächssituation her, ähnlich dem Gespräch zwischen Dichter und Engel im Vorspiel . »Ich bin nicht tüchtig für die weitre weihe«, gesteht der Novize, und der Meister tröstet ihn: »Denk nicht dass dort nichts ist wo du nichts siehst.« Gegenstand der Unterhaltung sind Fragen der Pubertät. Wenn der Jüngere sich dem Älteren ganz anvertraue, würden sie gemeinsam die Probleme dieser schwierigen Phase bewältigen. »Die uns nur eignet:
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