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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Sonntag mittag brachte George seinen jugendlichen Gast an den Zug. Zum Abschied schenkte er ihm eine blaue Baskenmütze, welche die Mutter zu Percys Leidwesen jedoch gleich wegschloss.
    Als Höhepunkt des Wochenendes behielt Gothein die letzten Augenblicke vor dem Einschlafen am Samstagabend in Erinnerung: »Da hörte ich draussen den Führer der Jugend nochmals an meiner Türe vorbeigehn, und mein freies inneres Schwingen schmiegte sich den verhaltenen Worten an, die er vor sich hinsprach. Es waren die Verse: ›Wer seines reichtums unwert ihn nicht nützt / Muss weinen: nicht wer arm ist wer verlor..‹ Dann erstarb im Dunkel seine Stimme, und ich weiss nichts mehr von jener Nacht auszusagen.« Seit jenem Abend bezog Gothein die Verse auf sich und machte sie zu seinem Lebensmotto. Würde Percy die Mahnungen beherzigen und das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen? Die Frage war gleichsam die Botschaft. 93
    Dank der Verbindungen Gundolfs zu den Eltern Gothein wurde der Kontakt zwar aufrechterhalten, und Mitte September war Percy auch noch einmal für ein Wochenende in Bingen. Aber erst zwei Jahre später, als Percy 17 war, intensivierte sich die Beziehung – und gestaltete sich sofort dramatisch. Ende Mai 1913 kam George nach Heidelberg und wohnte wie üblich in der Pension am Schlossberg 49. Es war ein heißer Sommer, und Percy ging jeden Mittag von der Schule direkt ins Strandbad am Neckar. Eines Tages sah er dort zu seiner
Überraschung vor einer der Badekabinen halb im Schatten, halb in der Sonne liegend George. »Heraus aus dem Wasser ihn begrüßen und mich neben ihn hin auf die Bohlen werfen war eins.« Das Gespräch schweifte bald »zurück zum alten Griechenvolk, das man sich gerne so und in noch größerer Hüllenlosigkeit denkt«. 94 George rühmte die Spartaner und unterstrich den »Nutzen der körperlichen Züchtigung der Knaben«. Percy widersprach: »Die Peitsche« würde nur »brutale Unteroffiziersnaturen« und »feige Duckmäuser« hervorbringen, aber kaum »heroische Spartiaten«. Im Übrigen sei die deutsche Jugend keineswegs so »besonders lebelustig, schlaff und oberflächlich«, wie George behaupte. 95
    So gingen die Gespräche in diesem Monat hin und her, und Gothein notierte alles. Am 22. Juni überreichte er George seine Aufzeichnungen:
    Lieber Herr George. Gleich mache ich von Ihrer Erlaubnis an Sie zu schreiben Gebrauch. Ich habe mich gewöhnt in den letzten Tagen immer Abends in dem Heft zu schreiben, was ich Ihnen heute gebracht. Da muss ich halt heute Abend Ihnen das schreiben, was ich sonst vielleicht dort niedergeschrieben hätte. Als sich Ihnen heute mein Geschreibsel brachte, war nicht die Hauptabsicht, dass Sie es läsen, sondern ich wollte Ihnen nachträglich die Frage vorlegen, die ich mit einem kurzen »ja oder nein« beantwortet haben möchte: »Erlauben Sie mir, dass ich diese Aufzeichnungen andern Menschen, die ein Interesse an mir [!] haben zeige?« Sie haben das Recht mir hier zu befehlen, weil diese Aufzeichnungen über Sie handeln … »Ja« wenn Sie im Ganzen nichts dagegen haben. »Nein« aber, wenn meine Wiedergabe Ihrer Worte falsch und unrichtig ist … Überhaupt fürchte ich, dass ich den Menschen, denen ich gelegentlich von Ihnen erzählt habe, keine gute Vorstellung gegeben habe, da sie meistens schon von Anfang an skeptisch herantraten … Dafür dass Sie mir von Ihrer kostbaren Zeit so viele Stunden geschenkt haben kann ich meinerseits nur völlige Offenheit Ihnen gegenüber setzen, damit Sie keine Katz im Sack kaufen. 96
    George war von Percys Notizen tief verletzt. »Eine große Taktlosigkeit von mir!« – so begann drei Tage später der Entschuldigungsbrief ohne Anrede. »Denken Sie sich einen Feind von Ihnen und mir, der das geschrieben hat, um mich bei Ihnen anzuschwärzen.« Die kränkenden Sätze standen offenbar im Zusammenhang mit abfälligen Bemerkungen
von Schulkameraden Percys. Sie »hänselten mich, und warnten zugleich. Welche Motive sie dazu veranlasst hat, ist hier nicht der Platz zu überlegen. Da habe ich ärgerlich und um mich zu rechtfertigen das gesagt, von dem mein Feind behauptet hat, ich hätte es gedacht.« Zum Beweis seiner Reue habe er das »Corpus delicti« inzwischen »versiegelt bei Gundolf deponiert. Es steht bei Ihnen es zu vernichten oder in den Beten zu vergraben. Mir gehört es nicht mehr.« 97
    Die Wende in ihrer Beziehung kam ein Jahr später, am 21. Mai 1914, dem Vorabend von Percys 18. Geburtstag. An diesem Tag hatte

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