Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Gundolf einen Fototermin für Ende des Jahres, wenn George wieder in Heidelberg wäre. Eine der Aufnahmen vom 13. Dezember schickte George Percys Mutter als Weihnachtsgruß. »Ich erhielt von Ihrer Hand etwas Liebes und Vertrautes zurück, das ich da von einer neuen Seite sehe«, bedankte sie sich. »Sie haben einer Mutter Augen auf ihren Sohn gelenkt, darum müssen Sie verzeihen, dass sie soviel von ihm spricht.« 89
Anfang Mai 1911, zwei Wochen vor seinem 15. Geburtstag, war Percy Gothein für zwei Tage zu Gast in Bingen. In dem Bericht, den er am Tag nach Percys Abreise an Gundolf schickte, wunderte sich George noch im Nachhinein, »dass ich ihn zum reden brachte was kaum zu erwarten war von dem jungen bären den ich in H[eidelberg] vor mir hatte. Er hat sich sogar stundenlang wegen des Alkohols mit mir herumgezankt.« Gothein war von den Lebensgewohnheiten Georges ziemlich enttäuscht. Vor allem die häusliche Umgebung des Dichters erschien ihm provinziell und spießig; bis auf »das unvermeidliche Bild« 90 konnte er nichts entdecken, was ihm der Mitteilung wert schien. Lediglich die dienstbaren Geister, die an die Tür klopften, sobald im Nebenzimmer eingedeckt war, und von denen man ansonsten nichts sah und nichts hörte, vermochten einen gewissen Eindruck auf den Bürgersohn zu machen. Das stille und reibungslose Funktionieren des Binger Haushalts, der nach wie vor durch die Schwester organisiert wurde, sorgte für eine klare Trennung der Sphären.
Zum Abendessen nahm George den jungen Percy mit in das Gasthaus auf dem Rochusberg. Unterwegs löste sich Percys Krawatte, und George zeigte ihm, wie man einen guten Knoten bindet. Als sie
oben angekommen waren, meinte George beim Blick über die Rheinebene, dies sei die Landschaft, »über der am meisten in unserem Vaterland ein griechischer Hauch liege«. Drei Jahre zuvor hatte er hier oben mit Ernst Morwitz gestanden – um die gleiche Tageszeit, in der untergehenden Sonne eines Spätnachmittags im Frühling, und in ähnlicher Stimmung:
Vor-abend war es unsrer bergesfeier
Wo du den wein aus meinem becher trankst.
Wir stiegen von dem strom aus gipfel-an
Da ward mit eins des himmels rasengrüne
Durchleuchtend blau wie in der süder buchten.
Entrückter goldschein machte bäum und häuser
Zum sitz der Seligen.. zeitloses nu
Wo landschaft geistig wird und traum zu wesen. 91
George wusste dem Gespräch inmitten der heimatlichen Weinberge schnell eine Wendung ins Vertrauliche zu geben. Bei ihrer »ersten stummen Begegnung« auf der Heidelberger Brücke hätten sie »gegeneinander nur fremd getan«, in Wirklichkeit sei ihnen die Schicksalhaftigkeit dieses Moments auf Anhieb deutlich gewesen.
»Sie hätten mich aber nie gesehen, wenn ich keine langen Haare gehabt hätte, die Ihnen aufgefallen wären.« Jetzt hielt der Führer im Gehen inne, da er doch durch diese unerwartete Äusserung seines kleinen Gastes überrascht war, und sagte: »Mein Kind, das ist die erste gewagte Äusserung, die du tust.« Dann musste er sehr über mich lachen, und ich lachte zur Gesellschaft mit, ohne zu wissen warum.
Zu Hause angelangt, musste Percy erst einmal die Hosen wechseln, die er beim Klettern auf einen Aussichtsturm ruiniert hatte. Die unsichtbaren Geister übernahmen die Reinigung. Percy durfte für den Rest des Abends Georges Samthosen tragen, in denen es ihm »ganz heimlich zumute« ward, »so dass die letzte Befangenheit forttaute«. Das Gespräch drehte sich um die neuesten Errungenschaften der Technik, für die sich der 14-Jährige mächtig begeisterte. Er hatte das Gefühl, ernst genommen zu werden, und verzeichnete es mit Genugtuung, länger aufbleiben zu dürfen als zu Hause. Als ihn George zum Schluss fragte, wie lange er denn morgens zum Aufstehen brauche, zog sich
Percy allerdings einen schweren Tadel zu, als er antwortete, eine Viertelstunde. »Ein Bub muss viel flinker in die Kleider fahren und sich gewaschen haben!« Am Morgen missfiel dem Dichter, dass der Gast ins weich gekochte Frühstücksei obendrein ein Stück Butter gab.
Georges Bericht über Percys Besuch in einem Brief an Gundolf vom 8. Mai 1911 und Gotheins spätere Erinnerungen lassen auf ein heiteres, unbeschwertes Wochenende schließen. Vorlaut und überheblich sei er gewesen, schreibt Gothein im Rückblick. Das deckt sich mit Georges Einschätzung, der Junge komme ihm mitunter zwar reichlich unverschämt vor, »aber seine anmaassung bleibt immer graziös«. 92 Es wurde viel gewandert, und am
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