Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Dauer beziehung« an. (142f.) Da die Gefolgschaft die Beziehung so fortsetzen wolle, »dass dabei die eigene Stellung ideell und materiell auf eine dauerhafte Alltags grundlage gestellt wird«, sei die Absicherung der Jünger durch Familie oder zumindest geregelte Einkünfte am Ende unvermeidlich. (143) »Die schließlich eintretende schrankenlose Freigabe von Familiengründung und Erwerb« bedeute dann zwangsläufig »das Ende der Herrschaft des genuinen Charisma. Nur die gemeinsame Gefahr des Feldlagers oder die Liebesgesinnung weltfremder Jüngerschaft hält den Kommunismus zusammen.« (660f.)
Im Februar 1912 schickte Weber einige zusätzliche Ausführungen »zu dem, wie es schien, Herrn Stefan George interessierenden Thema Hausgemeinschaften « an Arthur Salz. Eine Hausgemeinschaft binde ihre Angehörigen, solange sie »auf unbezweifelbare gemeinsame Aufgaben ausgerichtet ist«. Nur dann könne sie »dem Einzelnen abfordern: dass sie die Schranke seines individuellen Wollens sei«. Diese Schranke könne nur eine Person durchbrechen, deren Charisma stärker sei als die Tradition der Gemeinschaft. In der arbeitsteiligen modernen Welt verhalte es sich aber umgekehrt. Weil der Hausgemeinschaft »ihre ›produktiven‹ Aufgaben entzogen « worden seien, könne eine vergleichbare Gemeinschaft nur noch außeralltäglich, also charismatisch begründet werden, »als freier Zusammenschluß besonders gearteter Menschen mit besonders geartetem, dem Alltag entrückten Wollen«. 78
Die Ausführungen über Hausgemeinschaften gingen nicht in Wirtschaft und Gesellschaft ein. Es war gewissermaßen eine Privatstunde, die der Gelehrte dem Dichter hier erteilte – und vielleicht auch ein Dank dafür, dass dieser ihm, ohne es zu ahnen, zu einer Reihe »charismatischer« Einsichten verholfen hatte, die für das Herrschaftsverständnis im 20. Jahrhundert von herausragender Bedeutung werden sollten.
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1922, im Jahr des Erscheinens von Wirtschaft und Gesellschaft, hielt Siegfried Bernfeld, Freudschüler und Aktivist der zionistischen Jugendbewegung in Österreich, vor der »Wiener Psychoanalytischen Vereinigung« einen Vortrag »Über eine typische Form der männlichen Pubertät«. 79 Im ersten Heft der von ihm herausgegebenen, zwischen Mai 1913 und Juli 1914 im Verlag der Aktion erscheinenden Jugendzeitschrift Der Anfang hatte Bernfeld das Ideal der Jugendkulturbewegung noch über die Abgrenzung von »Jugend und Mannheit« definiert: »Jugend und Mannheit sind nicht graduelle, sondern qualitative Unterschiede. Die Jugend ist also nicht unvollkommene, unreifende Mannheit, sondern ein vollkommener Zustand für sich.« 80
Nach dem Krieg konnte diese Form der Agitation nicht mehr überzeugen. Bernfeld griff jetzt auf die Untersuchungen seines Lehrers Freud zurück, der für die Phase der Pubertät zwei wichtige Veränderungen im Sexualleben konstatiert hatte. Zum einen werde der gesamte Bereich der Sexualität dem »Primat der Genitalzonen« untergeordnet, zum anderen finde ein »Prozess der Objektfindung« statt. Dieser Prozess, so Bernfeld, werde beträchtlich gestört, weil ein Teil der Objektlibido sich in Ichlibido verwandele und so eine narzisstische Situation entstehen lasse. Auf diese »außerordentlich verstärkte libidinöse Besetzung« des Ich lasse sich auch »die überaus häufige, wenigstens vorübergehende narzisstisch-homosexuelle Fixierung« in der Phase der »gestreckten Pubertät« zurückführen. 81
Mit der »gestreckten Pubertät« bezeichnete Bernfeld die Phase zwischen dem Abschluß der Geschlechtsreife (physiologische Pubertät) und dem Endstadium der Objektfindung (psychische Pubertät). Der Narzissmus interessiere sich in dieser Phase für alles, was »von den adäquaten Zielen der beiden Grundtriebe, Erwerb und Frau, mehr oder weniger erheblich« abweiche, ja diese auszuschließen scheine, das heißt primär für alle »geistigen Werte«. Der Pubertätsnarzissmus sei folglich überall zu finden, wo man »von Jugend im kulturellen Sinne spricht; wenn man von Jugend einer Partei, von der
Jugend in einer Kunstbewegung, in der Revolution u. dgl. handelt«. Der Pubertätsnarzissmus wolle die von ihm verehrten Kunstwerke allerdings nicht nur genießen, sondern auch selber solche Werke schaffen. Nun gebe es allerdings Menschen, »die das Endstadium der erwähnten Objektfindung Zeit ihres Lebens nicht erreichen«. Zu ihnen zählten die Künstler, die ein Leben lang unterwegs seien auf der Suche nach dem Objekt ihrer
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