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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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kleinen Umweg über Saanenmöser. George saß eine ganze Weile nachdenklich in der Nähe des Häuschens, in dem sie fünf Jahre zuvor vom Kriegsausbruch erfahren hatten. Schon am Abend der Abreise aus Matten hatte er laut darüber nachgedacht, was es wohl bedeute, dass der Stern des Bundes noch vor der Katastrophe erschienen war. Damals habe niemand hören wollen. »Es ist ein Fluch dieser Menschheit, dass sie nun, da ihr nicht mehr zu raten ist, nach Rat sucht.« 3
    Rat suchten zunächst einmal seine Freunde. George wusste, wie schwer es war, aus dem vollständigen Zusammenbruch aller bisherigen Verhältnisse heraus langfristige Perspektiven zu entwickeln. »Wir Jüngeren mochten geneigt sein, die politische Katastrophe als eine Wende auch für unser eigenes Leben anzusehen, nicht so der Dichter.« 4 Das dreitägige Treffen von Heidelberg, das längste in der Geschichte des Freundeskreises, hatte zwar im Zeichen der Toten gestanden, insofern dürfte Thormaehlen recht gehabt haben, als er meinte, Pfingsten 1919 markiere in Georges Biographie eher den Abschluss einer Lebensepoche als einen Neubeginn. Aber zugleich sollte auch das Potential für einen Neuanfang ausgelotet werden.
    In der Einleitung zur der im Dezember 1919 erschienenen Elften/Zwölften Folge der Blätter für die Kuns t kam das Wort Krieg gar nicht erst vor. Zum 25-jährigen Bestehen der Zeitschrift wolle man lediglich »auf die geleitsätze der früheren bände« verweisen, wo »über das verhältnis von dichtung und kunst, von leben und kunst alles nötige« gesagt sei. Das Jubiläum fiel in das Jahr 1917. Für dieses Jahr war, wie der Leser den Nachrichten auf der letzten Seite entnehmen konnte, der Band ursprünglich geplant gewesen, aber aus redaktionellen Erwägungen habe man das Erscheinen um zwei Jahre verschoben.
Inzwischen war der Krieg verloren, und Europa zählte drei Kaiserreiche weniger. George aber hatte es nicht einmal für nötig befunden, wenigstens das Vorwort zu aktualisieren oder auch nur mit einem Wort auf die weltverändernden Ereignisse einzugehen. Was es dazu zu sagen gab, fasste er im Schlusssatz der Einleitung zusammen: »Nur den wenigen dürfte es einleuchten, dass in der dichtung eines volkes sich seine lezten schicksale enthüllen.« 5
    Beim Heidelberger Treffen unterstrich George seine Deutung des Kriegsgeschehens durch Vortrag zweier Dichtungen, die zum Martialischsten gehören, was er geschrieben hat. Im dröhnenden Rhythmus der Totenklage »Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande« hatte er so etwas wie ein Vermächtnis der Gefallenen formulieren wollen. In einer apokalyptischen Vision gewaltiger am Himmel aufziehender Totenheere suchte er dem massenhaften Sterben einen Sinn zu geben.
    Dann wird auf der walstatt voll endloser gräber
Aufzucken der blutschein.. dann jagen auf wolken
Lautdröhnende heere dann braust durchs gefilde
Der schrecklichste schrecken der dritte der stürme:
Der toten zurückkunft! 6
    Die »göttliche deutung / Unsagbaren grauens« war allerdings wieder einmal der Zukunft vorbehalten. Sie werde sich erst eröffnen, »Wenn je dieses volk sich aus feigem erschlaffen / Sein selber erinnert … Dann flattert im frühwind mit wahrhaftem zeichen / Die königsstandarte.« Wann dieser Tag sein wird, an dem »Die Hehren, die Helden!« ihre Würde zurückerhalten, lässt das Gedicht offen – wie es fast alles offen lässt und damit zu unendlichen Ausdeutungen Anlass gab.
    Visionäre Endzeitstimmung liegt auch über dem »Brand des Tempels«, und es stellt sich die Frage, warum George die festlich gestimmte Runde von Heidelberg ausgerechnet mit dieser Untergangsprophetie konfrontierte. In dem langen szenischen Gedicht geht es um die kriegerische Ablösung einer alt und schwach gewordenen Kultur durch eine fremde neue, die wie eine Naturgewalt über das Land hereingebrochen ist. Die alte Kultur wird vertreten durch vier
Priester, die das »vermächtnis vieler ahnen« wahren, deren Macht aber erschöpft ist. Die Macht liegt jetzt in den Händen eines Barbaren, der Züge sämtlicher Gewaltherrscher der Geschichte in sich vereint. Während seine Leute draußen die Straßen aufreißen und Gras säen – die alte Kultur soll auf die Stufe der Jäger und Sammler zurückgestoßen werden -, unterhalten sich die Priester im Tempel über den, der »selbst sich Geissel Gottes« nennt, und rechnen sich ihre Überlebenschancen aus. 7
    Es ergibt sich ein durchaus gemischtes Bild des allgewaltigen Eroberers.

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