Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
George wohl erste Überlegungen zum »Brand des Tempels« anstellte, arbeitete Oswald Spengler an den letzten Druckvorbereitungen seines Werkes Der Untergang des Abendlandes . Europa stehe am Anfang einer Niedergangsperiode, die »eine welthistorische Phase vom Umfang mehrerer Jahrhunderte« darstelle, hieß es im Vorwort. Der Autor betonte, dass er den Grundgedanken vom zyklischen Wechsel der Kulturen lange vor Kriegsausbruch entwickelt habe. Deshalb sei ihm der Krieg »in einem ganz andern Licht« erschienen. »Das war der Typus einer historischen Zeitwende , die innerhalb eines großen historischen Organismus von genau abgrenzbarem Umfange einen biographisch seit Jahrhunderten vorbestimmten Platz hatte.« 14
Spenglers Versuch einer Typisierung der Kulturen und seine Deutung der Geschichte als eines ewigen Auf und Ab großer Mächte waren George im Ansatz nicht fremd. Gleichwohl hat er sich vehement gegen den Spenglerschen Determinismus zur Wehr gesetzt. Irritiert hat ihn wohl vor allem der enorme Publikumserfolg; jedenfalls wollte er keiner anderen Publikation mit solchem Nachdruck ihre Bedeutung absprechen wie dem Untergang des Abendlandes .
Im September 1919 sah George bei Gundolf Druckfahnen einer Spengler-Rezension von Edgar Salin. Man müsse sich fragen, stellte er den Rezensenten wenig später während einer Zugfahrt zur Rede, »ob das Werk die Kritik durch einen der Unsern überhaupt lohne – der Massenerfolg des Buches besage doch für uns nichts über seine Bedeutung«. 15 Als drei Monate später Kurt Hildebrandt für ein geplantes neues Jahrbuch eine Besprechung vorschlug, warnte ihn George, Spengler irgendwie wichtig zu nehmen. 16 Auch Gundolf, der den ersten Band mit Zurückhaltung aufgenommen und offensichtlich nur die Stellen über Caesar exzerpiert hatte, wurde von George heftig getadelt, als er sich für den 1922 erschienenen zweiten Band mehr erwärmte. Er lasse sich »durch einen Platzregen von neuen schlechten Begriffen« verblüffen, das Ganze gehöre doch »durchweg zur nihilistischen Literatur«. Wenn er sich schon für »diese Unmassen kosmomystischer Dinge« begeistere, solle er lieber gleich zu den theosophischen Schriften der Madame Blavatzky greifen. 17
Ich glaubte ganz unschuldig das Abendland sei untergegangen u. damit gut. Ich kenne nur ganz wenig von dem zweiten Band u. finde ihn von dem ersten nicht so verschieden. Was muss man für ein Strudelkopf sein um an diesem kaleidoskopischen Durcheinanderwirbeln aller Dinge die Gott zugelassen hat von Hamurabi (nach dem neusten Stand der Wissenschaft wird er glaube ich mit 2 p geschrieben) bis zu den Bolschewiki gefallen zu finden. Beide Bücher sind von einem höchst anspruchsvollen Dilettanten verfasst für höchst anspruchsvolle Dilettanten … Nur in einem scheint ein grosser Unterschied zwischen dem ersten u. zweiten Band. Im ersten Band hat er Binsenwahrheiten auf den Kopf gestellt und mit Floritüren [sic] geschmückt, im zweiten hat er sie wieder auf die Beine gestellt, wobei es denn gar nicht fehlen kann, dass manches richtige dasteht. 18
Auf Georges Veranlassung unternahm Berthold Vallentin im Nachwort seines Napoleon -Buches im Herbst 1922 eine Abgrenzung gegen Spengler, ohne diesen jedoch namentlich zu erwähnen. Spengler habe »nur vorübergehende Bedeutung«, meinte George zu Vallentin, man dürfe ihn durch Nennung nicht aufwerten. Im Mai 1924 stand für George dann endgültig fest, dass Spengler »schnell aufgetaucht, aber auch schnell verpufft«sei. 19 Da hatte Der Untergang des Abendlandes
eben die 50. Auflage erreicht. Die inhaltliche Kritik richtete sich auf zwei Punkte: zunächst gegen die Unterscheidung von Kultur und Zivilisation, die Spengler als »ein strenges und notwendiges organisches Nacheinander « begriff. Die Ausbreitung der einen bedeute den Untergang der anderen: »Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur.« 20 Vallentin griff diesen Punkt auf, indem er es als abwegig bezeichnete, in Napoleon »den Abschluss der abendländischen Kultur und den Anfang der modernen Zivilisation« zu sehen. 21 Weil Spengler sich nur für Gesetzmäßigkeiten und Abläufe interessiere – so der zweite Vorwurf -, mangele es ihm an jeglichem Verständnis für die »schöpferischen Genien«. Aber erst aus deren Ineinandergreifen lasse sich »eine wahre Geschichte der wirkenden Weltkräfte« ableiten. Spengler könne fast zwanghaft nur in Schablonen denken und habe darüber jedes Gefühl für
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