Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
der einen Frage beschäftigt: Wie
wirkt man durch Dichtung« – und als Letzter Jean Paul, »der alles Deutsche war und wußte« und der »die Seele der Klassik verjüngte«. 77
Das Kapitel über Schiller ist nicht nur das umfangreichste, es ist auch das erstaunlichste des ganzen Bandes und steht nicht zufällig in der Mitte. In einem eigenen Unterkapitel »Der Orden« widmet sich Kommerell dem Malteser-Fragment, das er, neben den Philosophischen Briefen , zu den wichtigsten Werken »dieses gefährlichsten deutschen Jünglings« zählt. Schiller habe in diesem »Drama ohne Weiber« den revolutionären Versuch unternommen, »einen Wirkungskreis streng männlicher Gemeinschaft« darzustellen. »Hier rührt dieser helle und strenge Geist an sein Mysterium … und wenn wir ihn heut mehr als je den Unsern nennen, denken wir nicht bloß seiner scharf geprägten klassischen Führergestalt, sondern jener andern nur angedeuteten, in der er sich uns heute oder morgen gesellen würde als Oberer eines vom Größten beseelten zum Äußersten bereiten Tatbunds.« 78
Das war Geschichtsschreibung, wie George sie sich wünschte. Was Friedemann einst am Beispiel Platons und Wilhelm Stein am Beispiel Raffaels vorgeführt hatten, den Freundschaftsgedanken als bestimmende Kraft einer neuen Epoche sichtbar werden zu lassen: Hier war es endlich auch für die deutsche Klassik geleistet. »Die große Epoche der Freundschaft in der deutschen Geschichte ist zweifellos das Jahrhundert von 1750 bis 1850« schrieb Friedrich Tenbruck. »In jenen hundert Jahren hat sich eigentlich das verwirklicht, was wir noch heute meinen, wenn wir emphatisch von Freundschaft reden: die aus eigenständigen Gefühlen emporwachsende und im anderen die Erfüllung der eigenen Individualität suchende und findende und deshalb auch dem anderen wiederum die Erfüllung seiner Individualität schenkende persönlich Beziehung.« 79
Mit Kommerells Dichter als Führer brachte George sein Bild der Goethezeit in gültige Form. »Dir müssen wol mehrmals die ohren geklungen haben«, schrieb er dem Verfasser, nachdem er Wolters das Manuskript vorgelesen hatte. »Du hast ein neues tor aufgerissen. Was ist mehr zu verlangen!« 80 Als das Buch Ende Oktober erschien, hielten sich George, Kommerell und Johann Anton, dem das Buch gewidmet
war, in Berlin auf; von dort fuhr George am 3. Januar nach Kiel. »Der abschied von B[erlin] war nicht leicht«, schrieb er anderntags an Kommerell, aber »nachdem die ersten sehnsüchte etwas stiller wurden – wird sichs auch hier aushalten lassen.« Julius Landmann habe das Buch inzwischen ganz gelesen und sehr gelobt: »es sei nur, den heutigen und vieldeutigen begriff ›Führer‹ ohne weitres auf geschehnisse der Goethe-Zeit anzuwenden misslich«. 81
Landmann spürte, dass politische Veränderungen in der Luft lagen. »Wenn in Deutschland der Antisemitismus offiziell wird, schieße ich mir eine Kugel durch den Kopf.« 82 Zur Schwermut neigend, von Krankheit gezeichnet und durch die politischen Ereignisse deprimiert, nahm sich Julius Landmann am 8. November 1931 im Alter von 54 Jahren das Leben.
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Ende Oktober 1928, zeitgleich mit dem Dichter als Führer , erschien Georges letzter Band Das Neue Reich . Bondi hätte ihn gern rechtzeitig zum 60. Geburtstag herausgebracht, aber George ließ sich nicht drängen. Veröffentlicht als Band IX innerhalb der seit Herbst 1927 erscheinenden Gesamtausgabe war selbst die Erscheinungsweise unspektakulär. Dabei hatte die Gemeinde doppelt so lang warten müssen wie bei den Bänden zuvor; seit dem Stern des Bundes waren immerhin mehr als vierzehn Jahre vergangen. Das Ergebnis lohnte für viele das Warten nicht. Sie dürften ähnlich enttäuscht gewesen sein wie Ernst Glöckner, der nach erster Durchsicht an Bertram schrieb, es handele sich um einen »Sammelband aller Reste, vermehrt um Belangloses«. Dabei habe er doch, »als Du mir den Titel sagtest … ein ganz neues Buch erwartet«. 83 Was den Titel anging, dürften nicht alle so enthusiastisch reagiert haben wie der völkisch vergiftete Glöckner. Die Einwände, die Landmann gegen den Begriff »Führer« geltend gemacht hatte, mussten für das »Neue Reich« erst recht gelten. Denn welches Reich war gemeint?
Weil Verwechslungsgefahr bestand, hatte sich der Bondi Verlag bereits in seinem Frühjahrsprospekt zu der Klarstellung veranlasst gesehen, die von den Blättern für die Kunst seit 1910 als Signet verwendete Swastika habe nichts mit dem in der
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