Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Der erste Beitrag war zugleich der intimste, er kam von Walter Benjamin, der 1921 vorübergehend am Heidelberger Schlossberg gelebt hatte:
Stunden waren mir nicht zu viel, im Schlosspark zu Heidelberg, lesend, auf einer Bank, den Augenblick zu erwarten, da er vorbeikommen sollte … Auch habe ich ihn dann und wann im Hof des Schlosses auf einer Bank sitzen gefunden. Doch das war alles zu einer Zeit, da die entscheidende Erschütterung seines Werkes mich längst erreicht hatte … Wenn es das Vorrecht und das unnennbare Glück der Jugend ist, in Versen sich legitimieren, streitend und liebend sich auf Verse berufen zu dürfen, so verdankten wir, dass wir dieses erfuhren, den drei Büchern Georges, deren Herzstück das Jahr der Seele ist … Diese Gedichte aber vergleiche ich im Massiv des Deutschtums jenen Spalten, die nach der Sage nur alle tausend Jahre sich auftun und einen Blick ins innere Gold des Berges gewähren. 30
Bertolt Brecht antwortete demonstrativ herablassend; falls der Herausgeber der Literarischen Welt sich »an die richtigen Leute gewendet« habe, werde er feststellen, dass Georges Einfluss »ganz unbedeutend ist«. Die Abneigung saß tief: »Die Säule, die sich dieser Heilige ausgesucht hat, ist mit zuviel Schlauheit ausgesucht, sie steht an einer zu volkreichen Stelle, sie bietet einen zu malerischen Anblick.« So entschieden die Ablehnung des Dreißigjährigen, der sechs Wochen später mit der Dreigroschenoper einen der größten Theatererfolge des 20. Jahrhunderts landete, so eindeutig das Bekenntnis von Stefan Zweig, dem mit Abstand meistgelesenen unter den Befragten: »Für keinen deutschen Lyriker deutscher Gegenwart habe ich unbedingtere Bewunderung als für Stefan Georges lapidare Gestalt.« Der Jubilar am Thuner See wurde auf dem Laufenden gehalten. In der Literarischen Welt werde ein »Plebiscit« über den Meister veranstaltet, schrieb ihm einer der Freunde am Vorabend seines Geburtstages, das bedeute, »alle Juden werden um ihren Sinapis [Senf] gebeten«. 31 Er werde sämtliche Artikel, deren er habhaft werde, an Wolters schicken.
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Nach seinem Umzug nach Kiel zum Wintersemester 1924/25 hatte sich Friedrich Wolters mit neuem Schwung an die George-Biographie gemacht. Die ersten Gespräche zu einem solchen Buch lagen immerhin 16 Jahre zurück; am Vorabend des Krieges war sein Erscheinen zum ersten Mal angekündigt worden, seit 1920 bestand eine vertragliche Option mit Bondi. Mehrfach hatte George gemahnt, Wolters solle seine Zeit nicht mit unnützen publizistischen Aktivitäten vertrödeln und die Sache nicht länger schleifen lassen, sonst werde er die Aufgabe einem anderen übertragen. Seit 1925 war George alljährlich für einige Wochen im Herbst nach Kiel gefahren, um das Projekt in Gesprächen mit Wolters voranzutreiben; 1926 hatten sie gemeinsam sämtliche Folgen der Blätter für die Kunst von der ersten bis zur letzten Seite gelesen, 1927/28 hatte Wolters eigens ein Freisemester genommen.
Das Ergebnis, ein 600-Seiten-Werk, erschien Anfang November 1929 unter dem Titel Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890 . Die Wirkung war verheerend. »Die letzte Anstrengung diese Wälzers war nötig, um urbi et orbi nicht Georges Bedeutung, aber die Unbedeutung seiner entmannten Gefolgschaft zu zeigen«, schrieb Franz Blei. »Nach diesem Buche bleibt nichts mehr zu sagen und zu melden. Es ist eine zweipfündige Grabschrift auf ein Scheingelebtes.« 32 Es sei schon erstaunlich, wunderte sich die Herausgeberin der Tatwelt , Irene Eucken, dass nicht einmal »die offenbare Blindheit der Gefolgschaft … den Meister im Glauben an seine Berufung« habe erschüttern können:
Wie er überhaupt im Gegensatz zu wohl allen wahrhaft großen Männern, von denen wir wissen, niemals auch nur eine einzige Stunde des Selbstzweifels gekannt zu haben scheint. Der Grund liegt auf der Hand. Die Macht seiner Magie ist ebenso groß wie die Zahl der ihn wirklich interessierenden Probleme gering. So kann sich in seinem Bewusstsein kein Missverhältnis zwischen Kraft und Aufgabe herstellen. Und je stärkere Erfolge seine Magie aufweist, desto mehr wirkt sie auf ihn selbst zurück, desto mehr erliegt
er ihr schließlich selbst. So sehen wir ihn – gebannt von der dunklen Dämonie seines eignen Wesens – in unerschütterlicher Sicherheit seinen Weg vollenden. 33
Nichts anderes sollte durch das Buch von Wolters gezeigt werden: die Lebensbahn eines Mannes, der konsequent
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