Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
17. Juni erhielt, schrieb er postwendend an George, dass er nicht zur Verfügung stehe: Er halte es »für ein Gebot der Aufrichtigkeit … auszusprechen, dass ich nicht mehr derselbe bin«. 14
Vier Wochen später trafen sich George und Kommerell in Königstein zu einer Aussprache. Es war ihre letzte Zusammenkunft.
George räumte Kommerell wegen des Stiftungsrates Bedenkzeit ein und legte auch sonst eine ungewohnte Langmut an den Tag. Erst als Kommerell am 5. August schriftlich bestätigte, nicht in den Stiftungsrat eintreten zu wollen, scheint George das Ausmaß der Katastrophe in vollem Umfang begriffen zu haben. Er wurde krank und fühlte sich drei Wochen elend; dann begannen die üblichen Disziplinierungsbemühungen. Das Szenario sah vor, dass ein wohl bereits seit längerem bestehender Wunsch Claus von Stauffenbergs nach einem Besuch Kommerells in Bamberg dazu genutzt werden sollte, Kommerell zu zwingen, sich zuvor mit George in Berlin zu treffen. »Am besten scheint uns«, schrieb Johann Anton Ende September beiläufig, als handele es sich um eine Reiseempfehlung, »du löst ein Rund-Reise-Billet Stu[ttgart]-Berl[in]-Bamb[erg]-Fra[nkfurt]«. 15 Als Kommerell ablehnte, wurde Anton deutlicher. »Dein Besuch bei Cl[aus] ist ohne Erscheinen hier nicht möglich.« Der Meister wundere sich doch sehr, dass Kommerell offenbar glaube, »eines meiden das andere beibehalten zu können«. 16
Als Kommerell den Brief erhielt, war ihm klar, was die Stunde geschlagen hatte. Noch am selben Tag begann er die Ereignisse der letzten zwei Jahre unter der Überschrift »Ein Wendepunkt in meinen freundschaftlichen Beziehungen« zu rekonstruieren. Auf Mahnungen Ludwig Thormaehlens oder Frank Mehnerts, die ihn im Auftrag Georges aufforderten, zur Vernunft zu kommen, reagierte er mit Spott und Bitternis. »Wenn ein Jüngerer Freund meiner Lage die er kaum ahnen kann einen rein dogmatischen Satz von rettungslosem Verhalten gegenüberhält (gewissermaßen als der Rechtgläubige dem Verblendeten), so wirkt dies auf mich als falsche Prätension.« 17 Er verbitte sich solche Einmischungen, schrieb er in einem offenbar nicht abgeschickten Brief an George: »Ich verantworte mein Tun und Lassen selbst und stelle mir selbst meine Aufgaben.« 18 Innerhalb weniger Wochen wurden fast alle Verbindungen gekappt. Der Einzige, an dem Kommerell festhielt und auf dessen Freundschaft er zählte, war Johann Anton.
Mitte August verbrachten die Freunde ein paar Ferientage in Langenburg an der Jagst. Von den Belastungen, die das Zusammensein
mit sich bringe, wolle er besser schweigen, schrieb Anton an George. Er könne das alles nicht zu Ende denken, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Anton war in einer prekären Situation. Auch für ihn galt, dass er das eine nicht haben konnte, ohne das andere aufzugeben. An dem unauflösbaren Widerspruch zwischen den Forderungen des Staates und dem Festhalten an seiner Freundschaft mit Kommerell ist er schließlich zerbrochen. »Ich stelle es mir unter dem Bild vor«, schrieb er dem Freund Ende November: »wir reiten irgendwo an dir vorüber – und du fragst dich nur ›die habe ich doch einmal gekannt? Warum bin ich nicht dabei?‹« 19
Eine Woche später trafen sie sich in Frankfurt, wo Kommerell inzwischen seine Lehrtätigkeit als Privatdozent aufgenommen hatte. Ein Gespräch war nicht mehr möglich. »Deine Art der Discussion ist grob, plump und hart«, erregte sich Kommerell hinterher. »Das bloß noch Machtmäßige ihrer Argumente« zeuge von einer erschreckenden Dürftigkeit, die nur den Schluss zulasse, dass der Freund seinen einst so beweglichen Geist »in das Geschirr einer pfäffischen Orthodoxie« geschnallt habe. »Bist du denn behext oder was? Ich kenne Dich nicht wieder.« 20
Zu Weihnachten schlug Kommerell versöhnlichere Töne an. Ob sie sich Mitte Januar nicht in ihrem geliebten Freiburg wiedersehen könnten, er halte dort einen Vortrag. Anton, der über die Feiertage mit George in Solln war, lehnte ein Wiedersehen ab. Nach ein paar Tagen Skifahren in Tirol kehrte er Mitte Januar mit George nach Berlin zurück. Vier Wochen später besuchte er seine Eltern in Halle. Von dort schickte er am 17. Februar 1931 an das Ehepaar Grosse in Berlin, bei denen er wohnte und an deren Firma »Denkspiel-Vertrieb Grosse u. Co.« er sich nach Ausbezahlung seines Erbes zur Hälfte beteiligt hatte, einige testamentarische Verfügungen. Am nächsten Tag unterrichtete er George, dass sich seine Rückkehr nach
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