Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
den er mit Gundolf geführt hatte, noch einmal zu kämpfen, und so begann er sich in das Unvermeidliche zu fügen. »Wer je ging in deiner mitte / Wie ist möglich dass er weicht?«, hatte er in einem seiner letzten Gedichte »Zweifel der Jünger« im Winter 1927/28 möglicherweise mit Bezug auf
Gundolf gefragt. Die Antwort, die er gab, galt von da an für alle, die sich davonmachten – einschließlich Kommerell: »Manche sind die zeitlang dienen / Krankes blut schafft den verrat.« 4
Im November 1929 reiste Kommerell verstört aus dem gemeinsamen Quartier in Berlin-Schlachtensee ab. Obwohl auch diesmal »das Einvernehmen der Form nach gewahrt blieb«, seien »über die veränderte Lage kaum Zweifel« möglich gewesen. 5 Kommerell fuhr zu seiner Schwester nach Cannstatt, wo er bis Anfang Mai seine Habilitationsschrift über Stabreime im deutschen Heldenlied fertigstellte; George verbrachte, von einem dreiwöchigen Besuch bei Landmanns in Kiel abgesehen, den ganzen Winter in Berlin. Anfang März reiste Johann Anton nach München, wo er das alljährliche Osterquartier vorbereiten sollte. Im März 1926 hatte er in Solln, am Rand von München eine schöne große Wohnung entdeckt, die ein Zusammenleben zu dritt ermöglichte; die Terlaner Straße 8 (heute Frans-Hals-Straße) diente George und vielen Freunden bis 1930 immer wieder zu längerem Aufenthalt, meist während der Osterzeit. 6 Anton fuhr über Cannstatt, wo ihm Kommerell eröffnete, dass er sich außer Stande sehe, mit George noch einmal unter einem Dach zu wohnen: »Wand an Wand zu nächtigen und zusammenzuleben schien mir meiner unwürdig.« 7 Weil Anton auf ein Einlenken Kommerells hoffte und George nicht beunruhigen wollte, war dieser höchst erstaunt, bei seinem Eintreffen in München »das Kleinste« nicht anzutreffen. »Die erste frage D[es] M[eister]s war, ob ich dich mitgebracht habe«, schrieb Anton wenige Tage später:
Oft, bei der Verwunderung wie alles so dem früheren gliche, wird bemerkt – das leere bett und ich habe mühe -, heiter zu bleiben. Ich schilderte, dass ich dir riet, arbeit und Gesundheit fördernd erst nach Ostern wiederzuerscheinen. D[er] M[eister] »versteht meine Diplomatie nicht ganz« – geht aber auf sie ein. Deinen brief übergab ich nicht. Dein Platz wird völlig freigehalten – es hängt nur an dir. »Warum kommt (hieß es heute) das Kind nicht auf einen Tag herüber und sieht sich alles an?« 8
Johann Anton war der eigentlich Leidtragende, das Opfer des Bruchs. »Ich war auf mancherlei Tragik in meinem Leben gefasst«,
schrieb er wenig später an Kommerell, »aber nicht, dass sie von dieser Seite käme.« 9 Um nichts unversucht zu lassen und den Freund doch noch zurückzuholen, beantragte er beim Auswärtigen Amt Urlaubsverlängerung und fuhr Mitte Mai mit Kommerell für einige Tage nach Freiburg. Sie unternahmen lange Wanderungen und tranken viel Kaiserstühler und Glottertäler, aber beim Abschied war klar, dass es nur die Wahl gab »zwischen gänzlicher Umkehr oder Untergang«. 10
Im Juni 1930 wurde in Gesprächen zwischen George, Robert Boehringer und Johann Anton der Plan einer Stiftung diskutiert, die das literarische Erbe des Dichters über seinen Tod hinaus verwalten sollte. Morwitz hatte in Abstimmung mit Julius Landmann Mitte der zwanziger Jahre erstmals entsprechende Vorschläge unterbreitet. »Die Stiftung ist nötig«, hatte er George am 1. November 1926 geschrieben, »um die Urheberrechte von Deiner Person zu trennen, so dass sie bei Tod verselbständigt sind und nicht auf die Erben übergehen.« 11 Diese rechtliche Konstruktion biete zahlreiche, nicht zuletzt auch materielle Vorteile. Es war kein Zufall, dass George den Stiftungsplan gerade jetzt aus der Schublade holte. Von Morwitz, den George im Verlagsvertrag mit Bondi 1927 zu seinem potentiellen literarischen Verwalter bestimmt hatte, 12 war jetzt nicht mehr die Rede. Stattdessen sollte der Stiftungsrat aus dem Triumvirat Boehringer, Anton und Kommerell bestehen. Anton teilte dem Freund die Neuigkeiten mit, als handele es sich um einen großen persönlichen Sieg: Morwitz sei »nunmehr ausgeschaltet« und gegenüber Boehringer hätten sie fortan »die absolute Mehrheit«. 13 George scheint geglaubt zu haben, Kommerell auf diese Weise wieder fester einbinden zu können, und Anton, der ihn über Kommerells wahren Zustand auch jetzt noch im Unklaren ließ, bestärkte ihn darin. Die Rechnung ging jedoch nicht auf. Als Kommerell den Brief am Morgen des
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