Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
seiner Berufung gefolgt war und unbeirrbar an seinem Jugendtraum festgehalten hatte. Indem er den großen intellektuellen Versuchungen der Epoche widerstanden und ihrem Sowohl-als-auch ein aus antiker Religiosität erwachsenes, sinnstiftendes Erweckungserlebnis entgegengesetzt habe, sei George zum Hoffnungsträger einer neuen deutschen Jugend geworden: Das war, in einem Satz, der Inhalt. Die heilsgeschichtliche Dimension des Ganzen war selbst für engere Freunde Georges nur schwer erträglich, und auch das völkische, unterschwellig antisemitische Pathos befremdete viele. George, der die Schwächen des Textes kannte, segnete ihn dennoch ab. Bevor sich später andere über seine Biographie hermachen würden, wollte er seine Sicht der Dinge darlegen und dafür sorgen, »dass die Akzente und Gewichte richtig verteilt würden«. 34 Wenn er genügend Wein hätte und ihm jemand gegenübersäße, der ihn inspirierte, hatte George in der Hochphase der Vorarbeiten geäußert, dann könnte er sich sogar vorstellen, Memoiren zu diktieren. 35
Es empfiehlt sich, das Monstrum schichtweise zu sezieren. Die Blätter -Geschichte ist autorisierte Biographie, Kampfschrift und Schutzschrift in einem. Seine Hauptaufgabe, die Historisierung der frühen Jahre, hat Wolters bravourös gemeistert. Er machte die Vita passend zum Werk und erzählte Georges Leben entlang den einzelnen Folgen der Blätter . In diesem Teil der Darstellung, der bis zur Kosmikerkrise reicht und etwa die Hälfte des Bandes umfasst, dominiert Georges Sicht der Dinge; er war Wolters’ wichtigster Gewährsmann, er entschied, welche Dokumente verwendet, welche Zeugen befragt werden durften. Und wenn der Biograph allzu nachsichtig war mit den Gegnern und Freunden von einst, ersetzte George die Formulierung durch eine schärfere. Fünfzig Jahre später erinnerte sich Roland Hampe, der Sohn des Heidelberger Historikers, der damals
in Kiel studierte und von Wolters gebeten worden war, Fahnen zu lesen, an den Sommer 1929:
Auf der hinteren, dem Garten zugewandten Glasveranda tranken Wolters und George Tee. Dabei trug Wolters jeweils eine Partie vor, und George machte seine Bemerkungen dazu. Ich saß öfters auf der vorderen, der Straße zugewandten Veranda und las Korrekturen. Wolters kam gelegentlich, um etwas zu holen oder Korrekturfahnen zu bringen, und sprach ein paar Worte mit mir. Man spürte ihm an, wie anstrengend es für ihn war, sich Tag für Tag und mit großer Intensität mit dem Genius auseinanderzusetzen und ihm notfalls Widerpart zu geben und die eigene Position zu behaupten. Nicht immer ist ihm das gelungen. Man hat Wolters wegen einiger scharfer Formulierungen in seinem Buche kritisiert. Aber ich kann bezeugen, dass diese zum Teil nicht von Wolters, sondern von George selber stammen. 36
Max Kommerell, der die Entstehung aus nächster Nähe mitverfolgt hatte und auch in Kiel meist dabei war, überkam bei der Lektüre ein »Frösteln der Scham«; sein Widerstand gegen »dies bei aller gewaltigen Leistung im Einzelnen für mich doch furchtbare Buch« bestärkte ihn in den Auseinandersetzungen mit George und Anton und trug zur gegenseitigen Entfremdung erheblich bei. 37 Noch radikaler in seiner Ablehnung war Gundolf, dem diese Art Propaganda »zu sehr wider die Natur und wider den Geist« ging; wo man hinschaue, wimmele es »von knalligen Unwahrheiten«. 38 Leider werde er überall auf »das heillos schlechte, durch und durch verlogene Buch« angesprochen; dann mache er deutlich, dass er »mit dem Woltersschen Schranzen- und Pfaffentum nichts mehr gemein habe«. 39 Ernst Glöckner war der Ansicht, dass ein solches Werk zu Lebzeiten Georges niemals hätte geschrieben, geschweige denn publiziert werden dürfen. Dennoch teilte er Bertrams Einschätzung, es werde auf die verunsicherte deutsche Jugend womöglich eine starke Anziehungskraft ausüben: »Wenn ich nicht diesen ›Staat‹ aus der Nähe gesehen hätte und noch jünger wäre, wäre ich dieser schönen Utopie erlegen.« 40
Als schöne Utopie hatte die Sage von der Leben schaffenden Kunst, von der Tat gewordenen Dichtung durchaus ihren Reiz. Bei aller Kritik im Detail, hielt Wolfskehl dem gegen die Orthodoxie wetternden Gundolf entgegen, müsse man doch anerkennen, dass hier
»Geschichte als Geschehen, Geschichte als Schau« verstanden werde. 41 Das Buch war nicht zufällig als dritter (und letzter) Band in der »Geschichtlichen Reihe« erschienen, in der gleichen Aufmachung wie die Bände von Kantorowicz
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