Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
so sein, das könnt Ihr nur nicht verstehen...« 59 Für die Betroffenen waren solche Sätze wenig hilfreich. Sie spürten, dass George sich einer Festlegung entzog. Als Edith Landmann nach Erscheinen der Blätter -Geschichte den unterschwelligen Antisemitismus von Wolters kritisierte, scherzte er, den Juden sei es nie recht zu machen – »alles kann man von Euch doch auch nicht loben«. 60
Die Klischees des Antisemitismus, mit denen er als Kind in Bingen vertraut gemacht wurde, begleiteten ihn ein Leben lang. Die Juden waren demnach vor allem geschäftstüchtig. Jeder habe gewusst, »dass Juden immer prosperieren, immer Glück haben und es zu was bringen«. 61 Beim Viehmarkt in Bingen hätten alle nur auf Herrn Hirsch gewartet; wenn der kam, sei das Vieh im Handumdrehen verkauft worden, »Herr Hirsch war der Zwischenhändler schlechthin«. 62 Später glaubte er im Literaturbetrieb ähnliche Muster zu erkennen und sprach abfällig von der »geschäftigen Geistmacherei« der »Jüdchen«. 63 Vor allem aber waren die Juden in seinen Augen »andere Menschen«. 64 Sogar seinen Freund Berthold Vallentin, bei dem er über die Jahre oft Gast war, nannte er, wenn auch wohl mit neckischem Unterton, den »Fremdstämmigen«. 65
Georges Einstellung zu den Juden entsprach dem vor allem im Mittelstand verbreiteten Antisemitismus der »ganz gewöhnlichen Deutschen«, von denen 1933 viele so unempfindlich geworden waren, dass die schrittweise Entrechtung der Juden sie nicht wirklich empörte. So schlimm wird es schon nicht kommen, dachten 1933 viele, und zu ihnen gehörte auch Stefan George. 66 Sein latenter Antisemitismus scheint im Laufe der Jahre allerdings schwächer geworden zu sein, während er zugleich mehr Antisemiten um sich hatte. Das scheint auf den ersten Blick ebenso paradox wie die Tatsache, dass er seine demonstrative Gleichgültigkeit 1933 damit begründete, er habe zeit seines Lebens so viele jüdische Freunde gehabt, dass er zu diesem
Thema nichts mehr zu sagen brauche. Für ihn stelle sich die »Judenfrage« nicht, ließ er wissen. 67 Die Argumentation führte am Kern der Sache vorbei. Zum einen konnte, wer jüdische Freunde hatte, sehr wohl antisemitisch sein. Zum andern – und dies war der entscheidende Grund für die bedrohliche Schieflage, in welche die Diskussion innerhalb des Freundeskreises jetzt geriet – pochte George unter Verkennung der realen Machtverhältnisse auch diesmal auf die Eigengesetzlichkeit und den Primat des von ihm geschaffenen »Staates«. Was hatte er mit der Politk zu schaffen! Als ihn Edith Landmann bei ihrem letzten Besuch in Berlin in der zweiten Märzhälfte 1933, kurz vor dem von Goebbels organisierten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April, auf die Brutalität der neuen Machthaber hinwies, meinte er, »im Politischen gingen halt die Dinge anders«. 68
»Ihr Äusserste« hatte George die Juden im Stern des Bundes angesprochen und sie als »verkannte brüder« bezeichnet, »immer schweifend und drum nie erfüllt!« 69 Da im »reich des Geistes« die Herkunft bekanntlich keine Rolle spielte – »Durch die sendung durch den segen / Tauscht ihr sippe stand und namen« -, waren Juden dort genauso willkommen wie andere. Je mehr sie aufgrund ihrer jahrhundertelangen Unterdrückung zur Zersetzung neigten, so führte Wolters in der Blätter- Geschichte wortreich aus, desto wichtiger sei George für sie als moralische Instanz geworden. Als sich Wolfskehl gegen solchen rassistischen Unsinn zur Wehr setzte – »wie können Sie Karl Wolfskehl ›eine unterworfene und unterdrückte Rasse‹ nennen?« -, bedauerte Wolters das Missverständnis: »Mit Ihnen hielt ich solche Auseinandersetzungen gar nicht für möglich.« 70 George, so hatte er in einer dem Rotstift zum Opfer gefallenen Passage erläutert, habe den Juden etwas verschafft, was sie sich selber niemals hätten verschaffen können: »den letzten sicheren Stolz auf eignem unerschütterlichen Grund zu stehen und nicht nur geistig sondern auch leiblich Deutsche zu sein … Gewiss ist, dass bisher nur im ›Blätterkreise‹ Beispiele vollkommener Eindeutschung von Juden möglich waren.« 71
Schon Walter Benjamin wollte wissen, warum der George-Kreis so viele Juden anzog. Unter dem Stichwort »Juden in der deutschen
Kultur« schrieb er 1927 im fünften Band der Encyclopaedia Judaica: »In dem Kreise, der sich um Stefan George im Laufe der 90er Jahre bildete, bot sich den Juden zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre konservativen
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