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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Kantorowiczs Vortrag, liege das einzige Dogma, das die George-Schule kenne: im »Glauben an den Tag des Deutschen, an den Genius der Nation«.
    Um den freilich stand es Anfang 1930 nicht zum besten. Ende März war die Regierung Müller zurückgetreten, die letzte Regierung der Weimarer Republik, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügte. Ausgelöst durch die Weltwirtschaftsdepression, war die Zahl der Arbeitslosen von 1,8 Millionen im Januar 1929 auf 2,8 Millionen im Januar 1930 gestiegen (um dann bis Frühjahr 1932 auf 6,1 Millionen zu klettern). Um das Loch in der Arbeitslosenversicherung zu stopfen, war eine Erhöhung der Beiträge unumgänglich; weil sich die SPD mit ihren Koalitionspartnern nicht einigen konnte – es ging um ein halbes Prozent -, kam es zum Bruch. »Es gibt ein Maß von Einsichtslosigkeit, das zur Schuld wird«, kommentierte die Frankfurter Zeitung am Tag nach dem Rücktritt des Kabinetts. 53 Als bei den vorgezogenen Wahlen ein halbes Jahr später die Nationalsozialisten einen Erdrutschsieg errangen, ahnten allerdings nur wenige, dass der Anfang vom Ende der Demokratie in Deutschland begonnen hatte:
    Lieber Albert, dieser Brief ist sehr vertraulich ! Sie sehen die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Dinge in Deutschland. Sehr eingreifende Veränderungen des jetzt noch geltenden Status stehen vor der Thür. Zunächst Maßregeln jeder Art gegen die Juden, neben dem vermutlich sehr stark einsetzenden faktischen Terror noch Berufs- und Bewegungsbeschränkungen schärfsten Charakters. Ich bin wie Sie wissen Jude. Ich frage Sie: halten Sie es für möglich daß Holland im Falle einer dringlich werdenden Flucht (warum sollte ich mich scheuen dies Wort zu gebrauchen?) mir und den Meinen Aufenthaltsschwierigkeiten macht? Ich bitte Sie Ihre Antwort etwas verhüllt zu halten. Ich halte es für möglich daß meine Briefe schon unter Beobachtung stehen … Antworten Sie mir bitte bald … Viele Grüße Ihres Karl W. 54
Wolfskehls Hilferuf an den alten Freund Albert Verwey trägt das Datum 29. September 1930. Bei den Reichstagswahlen zwei Wochen zuvor hatte die NSDAP ihren Stimmenanteil von 2,6 Prozent (1928) auf 18,3 Prozent gesteigert. Am 13. Oktober marschierten ihre 107 Abgeordneten in der braunen Uniform der SA geschlossen zur Reichstagseröffnung; um die Ecke in der Leipziger Straße wurden, dafür hatte Goebbels gesorgt, die Fensterscheiben jüdischer Geschäfte eingeworfen. Auf der politischen Bühne zeichneten sich dramatische Veränderungen ab. Hitler nutzte einen zweistündigen Auftritt vor dem Reichsgericht, wo er als Zeuge im Prozess gegen die sogenannten Ulmer Leutnants aussagte, um Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch zu zerstreuen und zu betonen, dass der Nationalsozialismus sein Ziel mit verfassungsgemäßen Mitteln erreichen werde. Da das Programm dieser Partei nicht sehr viel mehr biete »als das etwas komische Dogma von der Berufung Adolf Hitlers, die deutsche Nation zu retten«, kommentierte Carl von Ossietzky in der Weltbühne , werde der Spuk wohl vorübergehen, denn von »Mystik« sei noch keiner satt geworden. 55
    Neigte Wolfskehl zur Hysterie, wie George meinte? Nach dem Bruch mit Klages und Schuler hatte er sich aus Angst vor einem Attentat einen Revolver zugelegt, mit dem er sich im Januar 1906 vor lauter Nervosität ins eigene Bein schoss. Diesmal waren die Bedrohungen realer Natur. Als am 30. Mai 1932 Brüning entlassen und durch Franz von Papen und sein »Kabinett der nationalen Konzentration« ersetzt wurde, fuhr Wolfskehl umgehend nach Basel. »Seit der Vertreibung der Juden aus Spanien, wiederholte er oft, sei nichts Schlimmeres im Gang gewesen, als was sich jetzt in Deutschland vorbereite.« 56 Auf einen verzweifelten Brief vom 7. Juni ließ ihm George ausrichten, »dass das allgemeine durcheinander gewiss gross sei – so gross dass das einzelschicksal weniger gelte – dass Sie jedoch was Sie persönlich anlange vielleicht doch zu düster zu sehen scheinen«. 57
    Bei dieser Haltung wird George bis zum Schluss bleiben. »Ich will Ihnen etwas sagen«, notierte Edith Landmann als seine letzte Äußerung zu diesem Thema am 19. September 1933, »wenn ich an das denke,
was Deutschland in den nächsten fünfzig Jahren bevorsteht, so ist mir die Judensach im Besonderen nicht so wichtig.« 58 Wie immer, wenn es politisch eng wurde, wich er aus in eschatologische Unverbindlichkeiten. Was er alles kommen sehe, könne er gar nicht sagen, »aber das muss

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