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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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»Fraget nicht: wohin? / Wir ziehn. / Wir ziehn, so ward uns aufgetragen / Seit Ur-Urvätertagen.« 78 Nach mehr als tausend Jahren, in denen die Juden am Rhein vorübergehend Ruhe gefunden hatten und doch stets nur als Gäste geduldet waren, mahnte Jahwe erneut zum Aufbruch: »Wieder drängt er uns, / Wieder verhängt Er uns / Seinen ewigen Fug: / Den Weiterzug, / Den Weiterzug.«
    Als Wolfskehl die Denkschrift von Edith Landmann erhielt, war er noch am Zürichsee. Er eilte nach Basel und diskutierte heftig mit ihr darüber, was das Geheime Deutschland für einen deutschen Juden im Jahr 1933 bedeutete – und was es nicht bedeutete. Es kam zum Streit. Sie sprach von Verrat an gemeinsamen Positionen und warf ihm vor, er treibe »mit Georges Wassern … die Mühlen Jehovas«. 79 Er suchte sie davon zu überzeugen, dass der deutsche Geist auf grauenhafte Irrwege geraten sei und es nun gelte, wieder ganz von vorn anzufangen. Dass die Rückbesinnung auf sein Judentum »Abfall« von George bedeute, wie ihm Edith Landmann ein Jahr später noch einmal vorhielt, 80 konnte und wollte Wolfskehl nicht akzeptieren. Aber der Vorwurf traf ihn schwer. In seinen Gedichten suchte er immer aufs Neue nach einer Antwort auf die für ihn entscheidende Frage, wie er beweisen könne, dass er Georges Vermächtnis treu geblieben war. Er fand sie schließlich in der berühmten, 1938 durch Thomas Mann popularisierten Zeile »Wo ich bin ist Deutscher Geist«. 81 Als sei diese Selbstvergewisserung am Ende der ersten Strophe noch zu schwach, ließ sich Wolfskehl sein Bekenntnis am Ende des »Abgesangs« beglaubigen, indem er George zu ihm sagen lässt: »Wo du bist, du Immertreuer, / Wo du bist, du Freier, Freister, / Du der wahrt und wagt und preist – / Wo du bist, ist Deutscher Geist!«
    Nimmt man Die Stimme spricht zur Hand, Wolfskehls 1934 im Schocken-Verlag erschienenen Abschiedsband, in dem er zum ersten
Mal ausschließlich die jüdische Thematik umkreist, ahnt man seine große Einsamkeit. Karl Löwith hat ihn zur Zeit der Entstehung dieser Gedichte in Rom besucht: Er lebte »in einem Hinterhaus der Via Margutta in einem düstern Loch, worin nichts weiter als ein ärmliches Eisenbett, ein zerbrochener Rohrstuhl und ein schmutziger Tisch stand. In dieser Zelle hat sich in ihm eine Wandlung vollzogen … Alles, was er seit Jahrzehnten geliebt und geschrieben hatte, war ihm wie eine Seifenblase zerplatzt.« 82 Das Eingangsgedicht des Bandes Die Stimme spricht hatte bereits am 2. Oktober 1933, wenige Tage nach dem denkwürdigen Gespräch mit Edith Landmann, im Frankfurter Israelitischen Wochenblatt gestanden:
    Herr! Ich will zurück zu Deinem Wort.
Herr! Ich will ausschütten meinen Wein.
Herr! Ich will zu Dir, ich will fort.
Herr! Ich weiss nicht aus und nicht ein!
Ich bin allein. 83

6 Das Schweigen
    Im Sommer 1932 war Anna George aus Königstein im Taunus ins elterliche Haus in Bingen zurückgekehrt. Ihr Bruder hatte ihr versprochen, sie dort bald einmal zu besuchen. Im Krieg war er das letzte Mal in der Heimat gewesen, seither hatte sich dort vieles verändert. Inzwischen war Stefan George der berühmteste Sohn der Stadt. Als er 1927 als Erster den Frankfurter Goethe-Preis erhalten hatte, war der Nahekai in Stefan-George-Straße umbenannt worden. 1
    Montag, den 3. Juli 1933, traf George aus München kommend in Bingen ein. 2 In seiner Begleitung befand sich Frank Mehnert, dem nach dem Verlust von Kommerell und Anton wie von selbst die Rolle des Ersten Sekretärs zugefallen war. Wie sich die Haushälterin Fräulein Gerhard erinnerte, musste Frank für George auch kochen. »Fräulein (Anna) George war deswegen nicht gekränkt, sie lächelte nur über diese Eigenheit ihres Bruders.« 3 Normalerweise war nämlich das Kochen nach Meinung ihres Bruders ihr Hauptverdienst: »Weil du gut koche kannst, wirst du vielleicht nochmal eine Rolle in meinem Leben spiele.« 4
    Am Wochenende darauf fand in Bingen der Jahrmarkt statt, der alljährlich um diese Zeit am Rheinufer aufgebaut wurde. Dieses Mal hatte man ihn an den Nahekai verlegt. Der bis weit in die Nacht gellende Lärm der Buden und Karussells ließ George am Samstag morgen abreisen. 5 Es war der 8. Juli 1933, und die Fahrt ging nach Berlin. Vier Tage später feierte George seinen 65. Geburtstag; fast alle deutschen Zeitungen brachten sein Bild, dazu, im Stil der neuen nationalen Ideologie, ein Glückwunschtelegramm von Goebbels. Im Rundfunk wurden zum Programmende George-Gedichte rezitiert. 6

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