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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Tendenzen in fruchtbare Beziehung zum Deutschtum zu setzen.« 72 Seinen Freund Gershom Scholem, der vier Jahre zuvor nach Palästina ausgewandert war, konnte diese Erklärung nicht überzeugen, schon gar nicht nach dem Krieg. Er habe in letzter Zeit viel über Stefan George gelesen, schrieb er 1965 an Margarete Susman: »Die Verlogenheit dieser Literatur kann kaum überboten werden, wo sie das Jüdische berührt.« 73 Im Jahr zuvor hatte Scholem das Thema Stefan George und die Juden gegenüber Erich von Kahler ein Thema genannt, »das es in sich hätte«, und bedauert, dass Kahler nicht darüber schreiben wollte.
    Es ging dem bekannten Judaisten nicht darum, George, einzelne seiner Freunde oder den Kreis insgesamt des Antisemitismus zu überführen. Ihn interessierte vielmehr, warum gerade George so viele deutsche Juden bis zur Selbstverleugnung zu faszinieren vermochte. Schon Assimilation war für Scholem Selbstverleugnung, gleichbedeutend mit Preisgabe der jüdischen Identität. Die nach dem Krieg von den Deutschen gern beschworene Formel von der deutsch-jüdischen Symbiose hielt er für eine Erfindung, bestenfalls für ein Missverständnis. »Zu einem Gespräch gehören zwei, die aufeinander hören« – gesprochen hätten aber immer nur die Juden, nämlich zu sich selber. Ähnlich sah es wohl auch Wolfskehl, der 1946 aus dem neuseeländischen Exil schrieb: »Ach ja, aus den Juden hat sich von selber kein Deutscher je etwas gemacht«. 74
    Wie weit die Assimilationsbereitschaft deutscher Juden ging, ihr Wunsch, trotz der neuen politischen Gegebenheiten von der Teilhabe am deutschen Geist nicht ausgeschlossen zu werden, offenbarte auf erschreckende Weise die Denkschrift, die Edith Landmann im Sommer 1933 unter dem Titel »An die deutschen Juden, die zum geheimen Deutschland hielten« im Freundeskreis verteilte. 75 George habe ganz recht. Die Juden dürften in der Stunde des nationalen Aufbruchs nicht verlangen, dass alles nur danach beurteilt werde, wie es den Juden
ergehe. Sie selber sei »angesichts der Art von Juden, die sich nach und lange schon vor dem Kriege in Deutschland breitgemacht« hätten, längst selber antisemitisch geworden – »aus Liebe zum deutschen Volke«. Und sie bekenne, dass viele »Gedanken des Dritten Reichs, in welcher Verzerrung immer sie verwirklicht werden, die Gedanken längst auch unseres Herzens waren«. Andererseits müsse man schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass in der Weltanschauung des Dritten Reiches nicht der Geist, sondern das Blut als entscheidende Kraft angesehen werde – und »vor der alleinigen magischen Kraft des Blutes sind wir wehrlos«.
    Aber so wenig die Juden ihr jüdisches Blut aus sich herausfließen lassen könnten, so wenig könnten sie sich den deutschen Geist herausreißen. »Lieber bringen wir uns um.« Der Suizid werde jedoch von den Gegnern sofort in einen Sieg umgemünzt: »Wenn ihr euch zum Selbstmord treiben lasst, gebt ihr denen recht, die euch dazu treiben; Ihr seid also doch nicht Deutsche geworden!« Wollten sie »Deutsche jüdischen Blutes, Juden deutschen Geistes« bleiben, müssten sie auswandern, nicht einzeln, jeder in ein anderes Land, weil sie dann von der Tradition abgeschnitten zu werden drohten, sondern geschlossen, alle zusammen, nach dem Vorbild verfolgter Glaubensgemeinschaften früherer Jahrhunderte: das Geheime Deutschland als geschlossene Siedlung in Übersee. »Meine Mutter wusste, dass der Plan utopisch war«, schrieb Michael Landmann fünfzig Jahre danach. 76 Dennoch habe sie an dem Traum festgehalten, dass das andere, das bessere Deutschland auf fremdem Boden vielleicht doch noch möglich sei.
    Karl Wolfskehl war fassungslos. Von den »Juden aus Georges Umgebung ist keiner in der Seelenlage zu spüren, worum es geht«, hatte er schon Ende Oktober 1932, kurz vor seiner Rückkehr aus Basel nach Deutschland, geklagt. »Sie suchen sich die Dinge zurecht zu strählen, beseufzen aufs höchste, dass ein abscheulicher Zufall sie zurückhält mitzuthun.« 77 Vier Monate hielt es Wolfskehl in seiner alten Heimat München noch aus, bevor er am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, Deutschland endgültig verließ. Die
Reise ohne Wiederkehr führte über Basel, Locarno, Zürich, Florenz, Rom nach Recco und Camogli am Vorgebirge von Portofino. Hier, wo die von Genua auslaufenden Schiffe am Horizont vorübergleiten, suchte er sich im Frühjahr 1938 sein »Anti-Thule«, den Punkt der Erde, der am weitesten entfernt lag von Europa.

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