Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
deutsches denkmal« schaffen wollen.
Im August 1892 folgte George einem Spendenaufruf für eine Baudelaire-Büste Rodins auf dem Friedhof Montparnasse. Für dieses »Tombeau de Charles Baudelaire« warb er sogar in den Blättern , die das Projekt mit 50 Francs unterstützten. An einer ähnlichen Aktion
zur Errichtung eines Denkmals für den im Januar 1896 verstorbenen Paul Verlaine beteiligte er sich merkwürdigerweise nicht mehr, 35 obwohl er Verlaine mindestens zweimal persönlich begegnet war. In seinem Nachlass fanden sich ein schlechtes Zeitungsfoto Verlaines im Café und die linke Hälfte einer Reproduktion des bekannten Gemäldes von Fantin-Latour, auf dem er neben Rimbaud sitzt. Das Schicksal Verlaines, der früh zum Alkoholiker geworden war, im Alter von 28 Jahren Frau und Kinder hatte sitzen lassen, um mit dem zehn Jahre jüngeren Rimbaud durch die Welt zu ziehen, ein Jahr später mit dem Revolver auf ihn feuerte, dafür eine zweijährige Haftstrafe in Belgien absaß und danach keinen Boden mehr unter die Füße bekam, bis er endgültig im Absinth versank, sorgte unter den Pariser Künstlern immer wieder für Gesprächsstoff. Dieser bemitleidenswerte Mensch verkörperte wie kein zweiter die Verwerfungen der Boheme. Auch wenn George ihm in seinem Elend eine gewisse Würde nicht absprechen wollte -»VERLAINE in fall und busse fromm und kindlich« 36 – und seine Dichtungen auf eine Stufe stellte mit denen Mallarmés, blieb der »pauvre Lélian« für ihn doch zeitlebens ein Schreckbild.
Die Zeitschrift La Plume , die den Spendenaufruf für das Baudelaire-Denkmal initiiert hatte, war mit einer Auflage von knapp 1500 Exemplaren das erfolgreichste Periodikum der Symbolisten. In der im August 1889, also während Georges erstem Paris-Aufenthalt von Léon Deschamps ins Leben gerufenen Zeitschrift publizierte unter anderen der ebenso ehrgeizige wie undurchsichtige Grieche Jean Moréas, der als Einziger unter den Pariser Literaten deutsch sprach. Am 18. September 1886 hatte er im Figaro jenen Artikel veröffentlicht, der als Geburtsurkunde des Symbolismus galt, weil in ihm der Begriff zum ersten Mal verwendet wurde: »Der Wesenszug der symbolischen Kunst besteht darin, nie bis zum Begriff der Idee an sich zu gehen.« Die Mitarbeiter von La Plume trafen sich ein paarmal im Jahr zu gemeinsamen Diners, an denen gelegentlich auch George teilnahm.
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre waren im Umfeld Mallarmés mehrere literarische Zeitschriften gegründet worden, deren
Ziel es war, Exklusivität im öffentlichen Raum herzustellen. George hat diese Zeitschriften genau studiert und die wichtigsten Redakteure und Herausgeber persönlich kennengelernt. Nach Veröffentlichung seiner ersten Bände und erst recht, als er im Oktober 1892 mit seiner eigenen Zeitschrift startete, nutzte er seine Kontakte, sich in deren Zitatenkarussell nach dem Prinzip des do ut des einzuklinken: Lobst du mich, lob ich dich. Vielleicht hat George die von ihm in Umlauf gebrachte Behauptung, die bald überall ungeprüft übernommen wurde, er sei im Ausland anerkannt gewesen, lange bevor man seinen Namen in Deutschland überhaupt wahrgenommen habe, tatsächlich geglaubt. Dann wäre er genau jener Suggestion erlegen, die zu erzeugen Sinn und Zweck der avantgardistischen Vernetzungsstrategie war.
Die häufige Nennung innerhalb eines selbstreferentiellen Systems kann mitnichten als Indikator für publizistischen Erfolg und öffentliche Anerkennung gewertet werden. Noch so viele Hinweise in der Rubrik Neuerscheinungen oder im Rahmen von Sammelbesprechungen rechtfertigen nicht die unter Literarhistorikern bis heute verbreitete Meinung, George sei außerhalb Deutschlands »entdeckt« worden. Eine genaue Auswertung sämtlicher Dokumente des »Vervielfältigungseffekts« (Fechner) bis Ende 1893 ergibt eine nüchterne Bilanz. Einer einzigen deutschen Erwähnung – Julius Hart in der Freien Bühne – stehen in der Tat 44 Hinweise im französischsprachigen Raum, insbesondere in Belgien, gegenüber. Zieht man Übersetzungen, Widmungen, die Artikel Kleins, Anzeigen und bloße Erwähnungen ab, bleiben etwa zwanzig Dokumente; von diesen wiederum sind lediglich die beiden Artikel Mockels über die Hymnen und die Baudelaire-Übersetzungen sowie die drei Hinweise auf die jeweils neueste Nummer der Blätter im Mercure de France als Besprechungen im eigentlichen Sinn anzusehen. 37
Im Frühjahr 1893 räumte der Herausgeber von La Plume George die
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