Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
das allein ewig ist«, bezog sich direkt auf die Auseinandersetzungen mit Ghil. Dessen zunehmenden Materialismus hatte Mallarmé im Frühjahr 1888
mit dem vielzitierten Satz kritisiert: »Non, Ghil, l’on ne peut se passer d’Eden.« 44
Der Belgier Albert Mockel, der Gründer von La Wallonie , verdient schon deshalb Erwähnung, weil er als Einziger überhaupt Georges Erstlingswerk besprach. Vor allem aber kam über ihn jene Verbindung zustande, die für George vom Sommer 1892 an zu einer wichtigen Konstante werden sollte: die Verbindung mit Paul Gérardy in Lüttich. Auch Gérardy hatte seit Anfang des Jahres sein eigenes Organ, eine Studentenzeitschrift namens Floréal . Während die Franzosen auf Neuerscheinungen aus dem Blätter -Kreis nach 1893 so gut wie nicht mehr reagierten, zeigte sich Gérardy bald rühriger als alle Pariser zusammen.
Aber nicht Gérardys unermüdlicher Einsatz war für George ausschlaggebend, sondern ein menschliches Grundvertrauen, das sich zwischen den beiden rasch herstellte. Zum einen fand George bei Gérardy und seinen belgischen Freunden jene Wärme und Zuneigung, die er im Kreis um Mallarmé vergeblich gesucht hatte. Zum anderen – und dies ist der eigentliche Grund seiner Wendung von Paris nach Lüttich – wurde er im Kreis der vielfach belächelten, teilweise stark dilettierenden Belgier nicht nur als Gleicher unter Gleichen, sondern bald schon als führender Kopf anerkannt. Lieber der Erste in den obskuren Kohlebergwerken Walloniens als im Paris Mallarmés »einer der Unsrigen«. Nur da, wo er unangefochten an der Spitze stand, konnte sich Stefan George auf Dauer entfalten.
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Am 25. Oktober 1889, anderthalb Jahre nach seinem Abitur, wurde Stefan George an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität immatrikuliert. 45 Drei Semester studierte er hier deutsche und romanische Philologie. Er fürchtete sich ein wenig vor der Metropole, wie er Albert Saint-Paul gestand, aber dieser bestärkte ihn, seinen antipreußischen Affekt zu überwinden und nach Berlin zu gehen. Nur
zwei Städte im deutschsprachigen Raum boten einem literarisch ambitionierten jungen Mann damals die Chance, sich einen Namen zu machen: Berlin und Wien. Als George am Ende des dritten Semesters in Berlin noch immer nicht Fuß gefasst hatte, beschloss er, sein Studium in Wien fortzusetzen und dort sein Glück zu versuchen. Zuletzt, von Oktober 1893 an, studierte er noch drei Semester in München, das Mitte der neunziger Jahre als kultureller Gegenpol zu Berlin an Attraktivität gewann, kehrte der Universität dann aber ganz den Rücken. George habe die Vorlesungen besucht, schrieb der Kommilitone Carl August Klein mit vornehmer Zurückhaltung, aber doch ein wenig neidisch, »ohne fortwährend die Abschlussprüfung ins Auge fassen zu müssen«. 46 Das Studium diente damals vielen Künstlern als Alibi. Die Maler der »Brücke« hätten nur studiert, gestand Ernst Ludwig Kirchner, um »das nötige Geld vom Vater für ein gebilligtes Studium zu erhalten«. 47
George war nicht der Erste, der in Berlin groß herauszukommen hoffte. »Was heißt Carrière machen anders als in Berlin leben, und was heißt in Berlin leben anders als Carrière machen«, fragte Fontane 1884. 48 Seit Mitte der achtziger Jahre wurde die Stadt von einer Welle ehrgeiziger, um 1860 geborener Dichter und Literaten überflutet. Sie stammten zu einem großen Teil aus der Provinz und hatten sich nichts Geringeres vorgenommen, als von Berlin aus die deutsche Literatur grundlegend zu erneuern. Heinrich und Julius Hart aus Westfalen, Otto Erich Hartleben aus dem Harz, Arno Holz aus Ostpreußen, Gerhart Hauptmann aus Schlesien – sie alle sahen sich in einem regelrechten Feldzug gegen »das Heer der Geibel-Epigonen« (Walther Brecht). Als Fanal des Aufbruchs wurde die im Frühjahr 1885 erschienene Sammlung Moderne Dichter-Charaktere verstanden. Man erhebe den Anspruch, schrieb Hermann Conradi im Vorwort, »endlich die Anthologie geschaffen zu haben, mit der vielleicht wieder eine neue Lyrik anhebt; durch die vielleicht wieder weitere Kreise, die der Kunst untreu geworden, zurückgewonnen … werden … Dann werden die Dichter ihrer wahren Mission sich wieder bewusst werden, Hüter und Heger, Führer und Tröster, Pfadfinder
und Weggeleiter, Ärzte und Priester der Menschen zu sein.« Die gleichen Sätze hätten ein paar Jahre später auch in den Blättern für die Kunst stehen können. Die Gedichte selbst blieben allerdings weit hinter den
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