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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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erbaut
Und seiner vögel leblose schwärme
Haben noch nie einen frühling geschaut.
     
    Von kohle die stämme, von kohle die äste
Und düstere felder am düsteren rain,
Der früchte nimmer gebrochene läste
Glänzen wie lava im pinien-hain.
    Inmitten dieser gespenstischen Kunstlandschaft widmet sich Algabal seiner Lieblingsbeschäftigung, der Züchtung einer riesigen schwarzen Kunstblume. Nachdem in vier Gedichten die Topographie des Unterreichs abgesteckt wurde, werden im mittleren Zyklus charakteristische Situationen aus dem Leben des Kaisers geschildert. Das erste Gedicht zeigt den Kaiser beim Füttern seiner Tauben:
    Er trägt ein kleid aus blauer Serer-seide
Mit sardern und safiren übersät
In silberhülsen säumend aufgenäht,
Doch an den armen hat er kein geschmeide.

    Durch einen Knecht, der in den Hof tritt, werden die Tauben aufgescheucht und »flattern ängstig nach dem dache«. Der Knecht, der im Nu die Ungeheuerlichkeit seines Fehltritts begreift, ersticht sich auf der Stelle. Der Kaiser verlässt die Szene »mit höhnender gebärde«, befiehlt aber, »Dass in den abendlichen weinpokal / Des knechtes name eingegraben werde«. Man darf sich durch die zahlreichen Exzesse Algabals nicht täuschen lassen. Ob von der Ermordung des eignen Bruders – »Dort sickert meines teuren bruders blut, / Ich raffe leise nur die purpurschleppe« – oder von der Ermordung einer Festgesellschaft durch Ersticken unter herabregnenden Rosen die Rede ist: Kein noch so raffiniertes Arrangement kann Algabal aus seinen Einsamkeiten befreien. Die Todessehnsucht, das bestimmende Motiv des Mittelteils, gipfelt im Nachdenken über den Suizid als höchste Form des Narzissmus.
    Man kann den Algabal auf zwei unterschiedliche Arten lesen. Als Äußerung eines auf die Spitze getriebenen »Aristokratismus der Innerlichkeit«, 68 dem die Welt längst gleichgültig geworden ist. Oder als Dokument der bewussten Abkehr, als »Chiffre der totalen Negation«, 69 die jede Versöhnung mit der Realität tendenziell ausschließt. Beide Lesarten laufen auf dieselbe Kernaussage hinaus: dass in der Dichtung die höhere Wirklichkeit enthalten sei. Nimmt man Georges dritten Gedichtband nicht nur als ein ins Extrem getriebenes l’art pour l’art , sondern vor allem als »Dokument einer Bewusstseins- und Sprachkrise«, 70 dann war mit der Flucht in die künstlichen Paradiese des spätrömischen Kindkaisers zugleich eine Grenze künstlerischer Wirklichkeitserfahrung erreicht, die ein Weiterdichten in dieser Richtung unmöglich machte.

4
    Weisse schwalben sah ich fliegen,
Schwalben schnee- und silberweiss,
Sah sie sich im winde wiegen,
In dem winde hell und heiss.
     
    Bunte häher sah ich hüpfen,
Papagei und kolibri
Durch die wunder-bäume schlüpfen
In dem wald der Tusferi.
     
    Grosse raben sah ich flattern,
Dohlen schwarz und dunkelgrau
Nah am grunde über nattern
Im verzauberten gehau.
     
    Schwalben seh ich wieder fliegen,
Schnee- und silberweisse schar,
Wie sie sich im winde wiegen
In dem winde kalt und klar!
    »Vogelschau« war für lange Zeit das letzte Gedicht Georges. Anfang 1892 fiel er in eine mehrwöchige Depression. Zum einen führte das Ende der Arbeit am Algabal zu einer schöpferischen Krise, verbunden mit starken Selbstzweifeln. Zum anderen ließ seine Zurückweisung durch Hofmannsthal Anfang Januar tiefe Wunden zurück. George blieb weiterhin auf sich allein gestellt. Von der Besprechung Albert Mockels abgesehen, hatte es keinerlei Resonanz auf die Hymnen gegeben. In der Druckphase der Pilgerfahrten hatte sich George von Wien aus bei Klein eigens nach den neuesten Methoden der Berliner Reklame erkundigt, 71 aber auch der zweite Band drohte jetzt sang- und klanglos unterzugehen. In dieser Situation, in der künstlerische Krise, zwischenmenschliches Debakel und die Angst vor einem weiteren Misserfolg in einer schweren seelischen Erschütterung kumulierten, holte George die alten Zeitschriftenpläne hervor, die mehr als anderthalb Jahre in der Schublade gelegen hatten.
    Im Mai 1892 entfaltete er eine ungewöhnliche Betriebsamkeit, und innerhalb weniger Wochen stand das Gerüst zum Bau der Blätter für
die Kunst . George dürfte mit der Gründung einer eigenen Zeitschrift zu diesem Zeitpunkt vor allem drei Ziele verfolgt haben. Erstens hoffte er, die Krise im Schaffensprozess zu überbrücken. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht; 1892 schrieb George so gut wie keine Gedichte, stattdessen übte er sich in Prosa, versuchte sich

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