Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
noch einmal am Drama, übersetzte viel, um die Seiten der Zeitschrift füllen zu können, und dichtete zuletzt einiges auf Französisch. Zweitens suchte er Hofmannsthal, dessen Publikationsmöglichkeiten in Wien inzwischen deutlich eingeschränkt waren, über eine enge Bindung an die Blätter doch noch zu gewinnen. Nach seiner überstürzten Abreise aus Wien Mitte Januar hatte George in einer fast vierwöchigen Korrespondenz mit Hofmannsthals Vater unter anderem ausgehandelt, unter welchen Bedingungen eines Tages ein Wiedersehen möglich wäre. Die Vermittlerrolle des Vaters in Anspruch nehmend, traf George Anfang Mai zu einem kurzen Besuch in Wien ein. Hofmannsthal scheint das Vorhaben zwar begrüßt zu haben, binden aber ließ er sich auf Dauer nicht. 72 Das dritte und wichtigste Ziel schließlich, mit Hilfe einer eigenen Zeitschrift das Karussell in Schwung zu bringen und den Erfolg, der sich nicht einstellen wollte, doch noch zu erzwingen, erforderte so viel Energie, dass George am Ende des ersten Jahrgangs daran dachte aufzugeben.
George trat selber nicht als Herausgeber oder Redakteur in Erscheinung, sondern setzte den Namen des Kommilitonen Klein auf die Titelseite. Nachdem im ersten Heft die besten Gedichte aus Hymnen Pilgerfahrten Algabal nachgedruckt worden waren, ließ George sein Werk im zweiten Heft von Klein als epochale Wende in der Geschichte der neueren deutschen Dichtung feiern: »Seitdem die alten götter tot sind, haben wir es zum erstenmal mit den offenbarungen eines ursprünglichen dichterischen geistes zu thun der aus seinen gedanken eine welt für sich gebaut und nach einem ganz bestimmten ihm eigentümlichen plan ein stehendes abgerundetes werk geschaffen.« 73 Die Profis der Berliner Szene ließen sich durch die angebliche Exklusivität der neuen Zeitschrift nicht täuschen. Als Redaktionsadresse war Lothringer Straße 9 (heute Torstraße) angegeben,Kleins Studentenbude im lärmigen Berliner Norden; gedruckt wurde ein paar Straßen weiter, bei Friedrich Cynamon in der Chausseestraße 4a. »Die Chambregarnies zu 20 Mark pro Monat, das ist der Boden, auf dem die litterarischen Revolutionen erwachsen«, mokierte sich Julius Hart über die unfeine Gegend. Alles in allem bleibe abzuwarten, ob sich hinter dem Begriff Symbolismus mehr verberge »als ein neues Schlagwort, welches sich ein paar Jünglinge ausgesonnen haben, um nun auch die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken«. 74
August Klein hatte sich nicht zweimal bitten lassen, den Herausgeber zu spielen. Ein paar Monate älter als George, in einfachsten Verhältnissen in einer Mühle bei Darmstadt aufgewachsen, hatte er die Reifeprüfung am Ludwig-Georgs-Gymnasium ein Jahr vor diesem abgelegt. Als beide im Wintersemester 1889/90 im romanischen Seminar saßen, erkannte George den ehemaligen Schulkameraden wieder und sprach ihn an. Während George durch Europa gereist war, hatte Klein das Einjährig-Freiwillige hinter sich gebracht und drei Semester Philologie in Heidelberg studiert. Gemeinsame Schulerinnerungen, landsmannschaftliche Verbundenheit, die Begeisterung fürs Theater und nicht zuletzt die Neigung, als Provinzler den Bürgerschreck zu spielen, begründeten die gegenseitige Sympathie. Leider seien die roten russischen Hemden mit orangegelben Krawatten, die er damals gern als Mode eingeführt hätte, in Deutschland nicht erhältlich gewesen, scherzte George später. 75 Wenn Klein »in snobistischer Kleidung gepudert und geschminkt durch die Straßen der Hauptstadt ging«, 76 war George nicht weit. Die beiden legten sich Gehrock und Zylinder zu, klemmten sich ein Monokel ins Auge und gaben sich weltmännisch-dandyhaft. Wahrscheinlich haben sie auch mit Rauschgift experimentiert. Noch Jahre später erinnerte George in einem Gedicht auf den Freund an »manche finstre bahn«, die sie damals gemeinsam eingeschlagen hätten. 77 Welche Erfahrungen hinter ihnen lagen, wenn sie sich am Morgen »von grausigem lager« erhoben, ließ das Gedicht zwar offen. Einen versteckten Hinweis gab Klein aber schon 1892, als er schrieb, Georges Dichtung offenbare
ihm »den grossen zusammenklang wobei wir durch die worte erregt werden wie durch rauschmittel«. 78
Fünf Jahre lang war Klein so etwas wie Georges persönlicher Sekretär. Als Herausgeber der Blätter für die Kunst führte er den größten Teil der Korrespondenz, verhandelte mit Druckereien, kümmerte sich um Werbung und Vertrieb. Er verfolgte das literarische Treiben in der Hauptstadt, besuchte
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