Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Figuren, die ihre Erfüllung darin fanden, George zu dienen. Er sei stolz darauf, »der jungen Bewegung seinen Arm geliehen zu haben als nur wenige andre sich darboten«, schrieb er, die eigene Rolle bereits stark historisierend, im Januar 1895. 88 Anders als George musste sich Klein gegen Ende seines Studiums nach einem Lebensunterhalt umsehen und stand für das Tagesgeschäft der Blätter Mitte der neunziger Jahre nicht mehr zur Verfügung. Er suchte sein Glück beim Theater, erst in Hamburg, dann in London, nahm später Schauspieluntericht in Wien, heiratete dort 1904, ging nach Budapest, war 1908 am Thater in Linz und wurde später mal hier, mal dort vermutet. Nachdem sich seine Theaterpläne in Luft aufgelöst hatten und er auch noch durch einen Betrüger um seine letzten Ersparnisse gebracht worden war, gelang es ihm nicht mehr, Fuß zu fassen. Einsam und verarmt starb er 1952 in Hamburg.
Bis zur letzten Folge 1919 wurde auf dem Titelblatt der Blätter für die Kunst Carl August Klein unverändert als Herausgeber genannt. Das sicherte Kontinuität, war aber auch Ausdruck persönlicher Dankbarkeit. George hielt dem Freund damit symbolisch einen Platz frei. Dabei hatte sich Klein bereits Anfang 1892, also noch vor Gründung der Zeitschrift, innerlich von George verabschiedet. Sein Hass, schrieb er ihm damals, richte sich »nicht gegen Sie und Ihre lehre sondern gegen mich selbst der nur ein unvollkommener schwächling ist für den neuen glauben«. 89 Weil er aber nicht loskam von George und sich stets eine Aufgabe für ihn fand, sobald er mit eigenen Plänen nicht weiterkam und sich wieder meldete, wurde es ein langer Abschied auf Raten. Er hoffe, »dass Carl August, wenn ihm die Zeit gekommen dünke, wieder auftauchen werde«, meinte George noch Jahre nach ihrer letzten Begegnung. Schließlich habe er sich nur zurückgezogen, um sich selbst »nicht untreu zu werden«. 90
Klein hatte durch seine bedingungslose Ergebenheit Georges Selbstbewusstsein enorm gestärkt. Das Maß an Selbstverleugnung, das er an den Tag legte und dem er sich auch über das Ende ihrer Beziehung hinaus verpflichtet fühlte, galt in den Annalen der Bewegung fortan als leuchtendes Beispiel. »Ihm geschah zum ersten Male, was von nun an allen geschah, die mit dem Dichter in Berührung kamen«, rühmte Wolters. 91 George habe das Beste in ihm geweckt und gültig ins Bild gesetzt. Als Klein nicht mehr in der Lage gewesen sei, diesem Bild zu entsprechen, habe er sich zur Trennung entschlossen. Wer »schlicht von dannen geht sobald er fürchtet / Er tauge minder«, so hatte George dem Kampfgefährten der frühen Jahre beim Abschied mit auf den Weg gegeben, diene der gemeinsamen Sache besser als derjenige, der in der Hoffnung auf späten Lohn »mit kargem pfunde wuchert«. Mit seinem Rückzug habe Carl August bewiesen, dass ein Mensch, der George treu bleibe, sich selbst treu bleibe. Darin liege der höchste Begriff von Treue, der sich denken lasse:
Was gilt mein kleines leben das zerschellt
Am klippenrand, wenn aufrecht bleibt im wind
Von unsrem stamm die unverbrochne treue! 92
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Lauter Abschiede
Im Spätsommer 1890 war es wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Bedeutung seiner neuen Gedichte zu ernsten Spannungen zwischen George und seinen Schulfreunden Arthur Stahl und Carl Rouge gekommen. Gekriselt hatte es schon während der England-Reise, als George, stolz auf seinen neuerworbenen Kosmopolitismus, den Freunden mangelnde Beweglichkeit vorwarf. Wie jeder Dreibund, reagierte auch dieser höchst anfällig auf geringste atmosphärische Störungen und war auf Dauer nur dann im Gleichgewicht zu halten, wenn keiner der drei Anspruch auf eine Sonderstellung erhob. Genau dies tat George in dem Moment, da er überzeugt davon war, sich mit den Hymnen von den gemeinsamen poetischen Versuchen der Schulzeit endgültig emanzipiert zu haben.
In den anderthalb Jahren seines Reisens war der regelmäßige Austausch mit Stahl und Rouge die wichtigste Bindung Georges an Herkunft und Heimat gewesen. »Lange Briefe von acht und sechzehn Seiten flogen hin und her, in denen alle möglichen für uns wichtigen Fragen behandelt wurden.« 1 In großer Offenheit unterrichtete man sich gegenseitig über Pläne, Hoffnungen und Wünsche. George wagte sich in dieser Korrespondenz so weit vor, dass er fürchtete, seine Briefe könnten Unbefugten in die Hände geraten. »Denke Dir welche schande für mich, wenn in späterer zeit jemand sich dieses briefes
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