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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Verlegenheitslösung handelte. Die Gründungsphase der Blätter für die Kunst erstreckte sich immerhin über einen ungewöhnlich langen Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Wolters, der sich Festlegungen sonst gern entzog, hat den Entschluss zur Gründung der Blätter ohne weitere Erklärung auf März 1890 datiert. Carl August Klein, der von der ersten bis zur letzten Folge offiziell als Herausgeber geführt wurde, widersprach dieser Darstellung umgehend, blieb jedoch ebenfalls eine Erklärung schuldig, warum bis zum Erscheinen der ersten Heftes im Oktober 1892 so viel Zeit ins Land ging. 60
    Im Frühjahr 1890 war die Gründung einer Zeitschrift Hauptgesprächsthema zwischen George und Klein gewesen. Während der Semesterferien fragte Klein besorgt, »also wie wird es jetzt mit unserem journal werden, teurer George«. 61 Im September überkamen ihn dann offenbar Zweifel, ob es nicht sehr gewagt sei, »2 mann hoch an ort und stelle ein blatt anzufangen«. Daraufhin erhielt er eine jener schroffen Antworten Georges, deren Ton wohl nur eine nachsichtige Natur wie die seine auf Dauer zu ertragen vermochte: »Meine worte ›ich wolle einen druck leiten‹ haben Sie von einer nicht gewollten seite aufgefasst. Einen druck leiten hieß ein buch dem druck übergeben. An zeitschrifterei habe ich nämlich am letzten lust. Lassen wir das andern!« 62 Die ganze Zeitschrifterei eine Fata Morgana des Kommilitonen? Wohl kaum. Nur hatte George inzwischen anderes im Sinn.
    Seit Februar befand er sich in einem unerhörten Schaffensrausch, der bis in den September anhielt. Noch im selben Monat beschloss er, die in dieser Zeit entstandenen 18 Gedichte umgehend auf eigene Kosten drucken zu lassen. Kaum war der schmucklos schmale Band
der Hymnen da, begann für den Verfasser Ende Dezember erneut eine Phase konzentrierter lyrischer Produktion. Während des folgenden halben Jahres entstanden weitere 21 Gedichte, die in den Weihnachtstagen 1891 unter dem Titel Pilgerfahrten veröffentlicht wurden. Zu diesem Zeitpunkt lag der in der zweiten Jahreshälfte 1891 entstandene Algabal -Zyklus bereits weitgehend abgeschlossen vor; die zwanzig Gedichte erschienen, in fast gleicher Ausstattung wie die beiden ersten Bände und wiederum in hundert Exemplaren, im Herbst 1892. In drei Schüben von jeweils sechs bis acht Monaten war das Frühwerk herausgeschleudert worden. George hat die Bände von Anfang an »als eine trilogie aufgefasst« 63 und mit Auszügen aus Hymnen Pilgerfahrten Algabal im Oktober 1892 die Blätter eröffnet.
    Lichtjahre liegen zwischen den Gedichten von 1888/89, die später als Jugendgedichte veröffentlicht wurden, und den Hymnen von 1890. Die Verse des Zwanzigjährigen sind gefällig, hübsch, mit Fleiß gereimt, und immer erzählen sie eine kleine Geschichte mit meist schaurigem Ausgang. Ein Jahr später ist davon nichts mehr wiederzufinden, es gibt keine Handlung mehr. »Handelnde person ist überall die seele des modernen künstlers.« Die Gedichte sind spröde geworden, sie wollen nicht mehr überzeugen, ja sie wollen nicht einmal mehr rühren. Das Interesse des Dichters richtet sich jetzt nur noch auf die Statik. Der Ehrgeiz, alles so knapp und so schmucklos wie möglich zu sagen, führt bisweilen an die Grenze der Unverständlichkeit. Die Rätsel, was gemeint sein könnte, beginnen für den Leser schon im Eröffnungsgedicht »Weihe«. Nachdem die Muse im Schilf eingeschwebt ist, muss es traditionell zum Kuss kommen. George fürchtet sich so sehr vor dem Klischee des Musenkusses, dass ihm die letzte Zeile verunglückt:
    Indem ihr mund auf deinem antlitz bebte
Und sie dich rein und so geheiligt sah
Dass sie im kuss nicht auszuweichen strebte
Dem finger stützend deiner lippe nah. 64
    Der scheinbare Manierismus ist symptomatisch für den Band. Auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck nimmt der Dichter Preziositäten
und mangelnde Klarheit in Kauf. Das Ringen mit der Sprache, der schöpferische Prozess selbst erweist sich als das eigentliche Thema der Hymnen . Der Leser wird Zeuge, »wie vor den Augen des Künstlers die Welt sich in ein Bild verwandelt«. 65 Während alles um ihn herum sich vergnügt – so schildert es der Dichter im zweiten Gedicht -, hat er sich seiner undankbaren Aufgabe zu unterziehen: »Er hat den griffel der sich sträubt zu führen.« Die Gedichtüberschriften drängen zu äußerster Einfachheit: »Einladung«, »Nachmittag«, »Von einer Begegnung«. In manchen Gedichten wie dem an eine Rokoko-Szenerie

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