Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
eines verwöhnten jungen Mädchens«; man müsse darauf achten, dass Ida nicht der »Bleichsucht« verfalle. 36 Zu allem Unglück verliebte sie sich auch noch in den Falschen, einen vier Jahre älteren Leutnant aus Darmstadt, Heinz von Hahn – ein Verhältnis, das der Vater, als er davon erfuhr, auf der Stelle unterband.
Im Herbst 1891 ging Coblenz auf längere Geschäftsreise nach Russland und nahm seine Tochter bis Berlin mit. Die Tante, bei der sie während der folgenden drei Monate wohnte, erhielt vom Vater den Auftrag, in der Berliner Gesellschaft einen gutsituierten Bräutigam ausfindig zu machen. Auf Bällen und bei Diners wurde die 21-Jährige, so empfand sie es selbst, präsentiert wie ein Stück Ware. Allerdings ließ sich Ida nicht nur begutachten, sondern prüfte auch ihrerseits. »›Schwan, kleb an‹, urteilten die Cousins, die ihre Wirkung auf Männer genau beobachteten, missbilligend. ›Geradezu kompromittierend‹ fanden sie ihre Anziehungskraft.« 37 Als Höhepunkte ihres Berlin-Aufenthaltes erlebte Ida zahlreiche Opernbesuche und einen Abend, an dem sie dem alten Fontane vorgestellt wurde, der ihr sein
Foto schenkte. Bei ihrer letzten Abendeinladung durfte Ida Coblenz neben dem jungen Walther Rathenau sitzen.
Zurück in Bingen, bekam Ida den Unmut des verhassten Vaters deutlich zu spüren. In einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung zog sie sich noch mehr in sich selbst zurück, flüchtete in die Welt der Bücher oder verströmte sich in stundenlangem Klavierspiel. »Wenn ich an meinem Flügel sitze, bin ich Musiker, Maler und Dichter in Einem – ich habe aber noch nie Worte gefunden die genügen mein Empfinden auszudrücken.« 38
Es war ein schöner Frühlingstag, als Stefan George Mitte März 1892 Ida Coblenz zum ersten Mal aufsuchte. Er trug einen hellen Anzug und einen kleinen runden Stohhut, Ida sah ihn von weitem den Gartenweg heraufkommen. George blieb zwei Stunden. Man sprach über Berlin, über Bücher, die Ida zuletzt gelesen hatte, über Wagner und Nietzsche, und dann wohl über Georges Gedichte. »Gespräch« schien ihr am besten gefallen zu haben, und George bat sie, doch einmal aufzuschreiben, wie sie dieses Gedicht aus den Hymnen interpretiere. »Der Dichter sucht also ein Weib, das er lieben könnte, und nirgend findet er sein Ideal. Keine reicht bis zu ihm heran; und so verbietet er lieber königlich den niederen Mägden ihn zu lieben, und hält sich rein für seine Muse.« Sie sei überzeugt, fügte die Interpretin hinzu, »dass dem Dichter seine Muse einstens verkörpert begegnen wird«. Es war eine etwas verknappte, betont spröde, naiv autobiographische Deutung, welche die Sinnlichkeit des Gedichts vollkommen ignorierte. Offenbart doch die Muse dem Dichter als ihren geheimsten Wunsch: »Ich würde dich in seidenwellen baden / Auf schwerem purpur freudig dir zu willen.« 39
Wenn Georges Aufforderung, gerade dieses Gedicht zu interpretieren, eine indirekte Werbung war, dann verstand es Ida Coblenz geschickt, ihr auszuweichen. 40 Diese Muse hielt ihren Dichter auf Distanz. Und sie klagte. Die Treffen mit George seien für sie sehr anstrengend gewesen, »immer des Guten etwas zu viel«. 41 Ida Coblenz ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, wer in dieser Beziehung das Tempo vorgab und den Grad der Erregung bestimmte.
Im Juni sahen sie sich wieder. Sie sprachen viel über die bevorstehende Gründung der Blätter für die Kunst . George hätte Ida Coblenz gern als Mitarbeiterin gesehen und versuchte sie zu eigener Produktion zu ermutigen. Sie solle mehr auf die Form achten, mahnte George und schickte ihr einen Aphorismus im Stile Jean Pauls: »Warum die schönheitswidrigen armen gebräuchlichen formen … anwenden um dein innres auszugiessen – denn das ist es ja nur was du willst?« 42 Bei einem Vergleich der »beiden größten Gegner Buddha und Zarathustra« glaubte Ida »eine gemeinsame Wahrheit gefunden« zu haben. 43 Aber sie tat sich schwer mit dem Schreiben und sah bald ein, dass ihre Mittel zu eigener schöpferischer Tätigkeit nicht hinreichten. Um so mehr schwärmte sie für jede Form genialischen Künstlertums und streckte nach allen Seiten ihre Fühler aus.
In einer »fast heiligen Scheu vor dem Schaffenden« war Ida Coblenz im Frühjahr 1892 mit dem Schriftsteller Fritz Kögel in Korrespondenz getreten. 44 Dessen soeben erschienene Prosa-Betrachtungen Vox Humana. Auch ein Beichtbuch hielt sie für das Bedeutendste, was sie seit langem gelesen hatte. George
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