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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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dürfte und der ihm viel über die neueste skandinavische Literatur zu berichten wusste. Dieser stellte dann die Verbindung zu Johannes Jörgensen her, der drei Jahre später als Erster außerhalb des französischsprachigen Raumes ausführlich über die Lyrik Georges schrieb. 28
    Den Sommer 1890 verbrachte George in Bingen, reiste von hier für drei Wochen nach Paris und war zum Studienbeginn wieder in Berlin. Die endgültige Entscheidung über die geplante Auswanderung musste jetzt bald fallen, denn im Dezember kehrten die Peñafiels in ihre Heimat zurück. George begleitete sie nach Bremerhaven, wo sie sich Mitte des Monats einschifften. Beim Abschied überreichte er ihnen die wenige Tage zuvor im Druck erschienenen Hymnen . Im letzten Moment hatte er sich gegen einen Neuanfang auf fremdem Kontinent entschieden. Ein Jahr später, im Januar 1892, als er von Hofmannsthal zurückgestoßen wurde, erwog George offenbar noch einmal ernsthaft, nach Übersee zu gehen. Er werde sich Hofmannsthal immer verbunden fühlen, schrieb er dem Vater, »mag er nun in Europa und ich drüben mich aufhalten«. 29
    Viele Jahre später sollte ihn die spanische Welt in Gestalt eines deutsch-argentinischen Knaben noch einmal einholen. Im Mai 1903 lernte George in Berlin den zwölfjährigen Hugo Zernik kennen, der mit Mutter, Schwester und Vetter in derselben Pension wohnte. Hingerissen von der Schönheit des »Ugolino« und zusätzlich bezaubert durch eine Sprache, die ihn an frühe Zeiten erinnerte, empfand George doch zugleich die ganze Vergeblichkeit seiner Zuneigung. Mexiko war ihm einst durch die Peñafiels zur Verlockung geworden. Für den 35-Jährigen aber kam eine Verbindung zur Neuen Welt nicht mehr in Betracht. Die Begegnung mit Hugo Zernik, der in Argentinien zu Hause war und bald dorthin zurückkehren sollte, machte George schmerzhaft bewusst, dass Welten zwischen ihnen lagen, die nicht überbrückt werden konnten. Als er den Jungen zweieinhalb Jahre
später wiedertraf, schrieb er drei Lieder, von denen das mittlere wohl zu seinen schönsten zählt:
    Mein kind kam heim.
Ihm weht der seewind noch im haar,
    Noch wiegt sein tritt
Bestandne furcht und junge lust der fahrt.
     
    Vom salzigen sprühn
Entflammt noch seiner wange brauner schmelz:
    Frucht schnell gereift
In fremder sonnen wildem duft und brand.
     
    Sein blick ist schwer
Schon vom geheimnis das ich niemals weiss
    Und leicht umflort
Da er vom lenz in unsern winter traf.
     
    So offen quoll
Die knospe auf dass ich fast scheu sie sah
    Und mir verbot
Den mund der einen mund zum kuss schon kor.
     
    Mein arm umschliesst
Was unbewegt von mir zu andrer welt
    Erblüht und wuchs –
Mein eigentum und mir unendlich fern. 30
    Die Melancholie der Erotik durchzieht Georges Dichtung bis zum Schluss. Sie ist groß, wo sie den Abschied singt und im selbstgewählten Verzicht auf Glückserfüllung das Leid noch über das Verlangen stellt. Für das Gedicht ist es unerheblich, ob es sich bei der Person, von der sich loszusagen wie eine innere Notwendigkeit erscheint, um einen Lebenden oder einen Toten, um einen Jungen, einen Mann oder eine Frau handelt und ob die Beziehung überhaupt zukunftsfähig gewesen wäre. Es dreht sich nicht darum, die Beziehung im Gedicht fortzuschreiben und dadurch insgeheim die Hoffnung auf eine glücklichere Wendung wachzuhalten. Vielmehr nimmt das Gedicht das drohende Ende vorweg. So erweist sich seine Wirklichkeit als eine den realen Verhältnissen überlegene Wirklichkeit, in der das entscheidende Moment der Begegnung für immer aufgehoben ist.

3
    Als George nach dem Debakel mit Hofmannsthal im Februar 1892 Ablenkung in München suchte, bekam er einen Brief seines Bruders Fritz, der ihm neuen Mut machte. Fritz George, gerade 21 Jahre alt geworden und vom Vater zum Geschäftsnachfolger bestimmt, war Mitglied eines Binger Tanzkreises, dem auch Ida Coblenz angehörte, die Tochter eines erfolgreichen Weingutbesitzers am Ort. Auf dem Nachhauseweg vom Tanzen hatte sich Fritz im Januar ein Herz gefasst: »Fräulein Ida, ich möchte Ihnen was anvertrauen«, sagte er schüchtern. »Mein Bruder Schtefan – ja, unser Schtefan dicht’t.« Keiner in der Familie könne damit etwas anfangen. Ob Fräulein Ida bereit sei, sich die Gedichte einmal anzuschauen, sie könne bestimmt etwas dazu sagen. Am nächsten Tag brachte er ihr ein Exemplar der Hymnen . 31
    Sie las, sah und verstand. So hat es Ida Coblenz anderthalb Jahre nach Georges Tod im Berliner Tageblatt beschrieben,

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