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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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schloss sich diesem Urteil umgehend an; das Beichtbuch sei »das werk eines wahren Künstlers was eben in Deutschland viel heisst«. 45 Bei seiner Rückkehr nach Berlin Ende Juni suchte er Kögel umgehend auf, aber die halbstündige Unterredung war nicht sehr ergiebig. An Ida berichtete er, es sei »immer so misslich wenn sich jemand anders auszuschaun erlaubt als wir uns vorgestellt«. 46 Kögel war als Verwaltungsdirektor bei Mannesmann tätig und betrieb die Schriftstellerei nur nebenher.
    1886 hatte Kögel in einem Zeitschriftenartikel »Frauen- und Goldschnittliteratur« auf ironische Weise die weibliche Eitelkeit für den Niedergang der Buchkultur in Deutschland verantwortlich gemacht. »Die Buchhändler sind den Frauen wirklich zu großem Danke verpflichtet. Wie hätten sie je daran denken können, kleine Dichterwerkchen in Großfolio erscheinen zu lassen, wenn nicht Frauen dawären, die sich diese ihre Lieblingsbücher mit mächtigen Bildern verziert, verschwenderisch prächtig gedruckt, als Riesenbände schenken lassen?« Ida Coblenz kannte den Artikel mit Sicherheit
nicht; die Charakterisierung der lesenden Frau als eine auf Äußerlichkeiten bedachte, zum Prunk des Trivialen neigende Höhere Tochter hätte sie empört. Aber war das Porträt so falsch? Ida Coblenz war nicht wirklich in der Lage, so ihr Biograph, »›große‹ Kunst immer von Hervorbringungen des Zeitgeistes, Kunst immer von Kunstgewerbe zu unterscheiden«. 47
    Einem weiteren Hinweis von Ida Coblenz ging George ebenfalls nach. Carl August Klein musste die Adresse von Maurice Reinhold von Stern ausfindig machen. Dieser Dichter dürfte allerdings noch weniger in Georges Programm gepasst haben als der Mannesmann-Direktor. 1860 in Reval geboren, hatte Stern einige Jahre als Arbeiter in den USA gelebt und sich anschließend in Zürich niedergelassen. Dort erschienen 1885 seine Proletarier-Lieder – »an die Adresse der deutschen Lohnarbeiter«. Das Vorwort warb um Nachsicht: »Wo die Kraft, das dichterische Können gemangelt hat, bemüht sich der gute Wille und die Liebe für die Sache, das Fehlende zu ersetzen.« Der gute Wille war offenbar auch bei den Lesern vorhanden, denn innerhalb von drei Jahren waren trotz der Beschränkungen durch das Sozialistengesetz zehntausend Exemplare verkauft worden. Im Vorwort zur zweiten Auflage (1888 unter dem Titel Stimmen im Sturm ) wies Stern stolz darauf hin, dass seit Georg Herwegh kein revolutionärer Dichter in Deutschland einen solchen Erfolg erzielt habe.
    »Die dichterische individualität Maurice von Sterns – mir scheint es – berechtigt uns zu hoffnungen.« 48 Glaubte George ernsthaft, den Dichter der Proletarier-Lieder in seine Zeitschrift integrieren zu können? Seine Bemühungen um Fritz Kögel, Maurice von Stern oder auch Bruno Wille, einen weiteren populären Vertreter des Individualanarchismus, zeigen jedenfalls, wie schwierig es für ihn in der Anfangsphase war, sich einen Überblick über das literarische Feld zu verschaffen und Autoren zu gewinnen. Wenn die Chance bestand, dass für die Blätter etwas abfiel, mussten ideologische und ästhetische Bedenken eben zurückgestellt werden. Nicht die behauptete Exklusivität, der Anspruch einer Kunst um der Kunst willen, stand George im Weg, sondern die Tatsache, dass er nicht über die nötigen Kontakte verfügte.

    Wie wenig Maurice von Stern seinerseits mit der neuen Zeitschrift anfangen konnte, zeigte sich im Dezember, als er in einer Schweizer Zeitschrift die Eröffnungsnummer besprach. Es war die erste Rezension der Blätter im deutschsprachigen Raum. Stern lobte den Plan und meinte, »dass die Aufmerksamkeit des Lesers auch ohne die unsinnige Orthographie lebhaft erregt« werden dürfte. Am Schluss aber konnte er sich eine persönliche Bemerkung nicht verkneifen: »Die ganze Unternehmung hat übrigens einen Beigeschmack von Mystifikation. Wer weiss, welch ein Schalk dahinter steckt!« 49

4
    Ende Sommer 1892 erhielt Ida Coblenz unerwartet Post. Heinz von Hahn, der Leutnant, den der Vater einst verbannt hatte, hielt um ihre Hand an. Die junge Frau war vollkommen ratlos, denn sie wusste, dass ihr Vater sich nicht würde umstimmen lassen. In diesem Zustand wich sie Georges Bitten um eine Verabredung aus. Als sie sich im November wiedersahen, muss sie ihn eingeweiht und ihm ihre Liebe zu Hahn gestanden haben. In ihrem autobiographischen Roman Daija hat Ida Coblenz diesen Moment als entscheidenden Wendepunkt ihrer Beziehung

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