Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
Vom Netzwerk:
Lieblingsbeschäftigung nach, Künstler zusammenzubringen. Seit langem hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, George in Berlin bekannt zu machen.
Im Jahr zuvor hatte sie Otto Julius Bierbaum, den Redakteur der Neuen Deutschen Rundschau , für George erwärmen wollen. Jetzt schrieb sie an Richard Dehmel, der dem Redaktionskommitee des Pan angehörte, und fragte ihn vorwurfsvoll, warum der Pan George und die Blätter für die Kunst ignoriere. Am 16. August suchte Dehmel Frau Consul Auerbach auf und versprach, sich für George beim Pan einzusetzen. Es sei denkbar, einige Gedichte von ihm dort zu veröffentlichen, wenn Frau Consul so freundlich sein wolle, die Vermittlung zu übernehmen. Ida war in ihrem Element. Am nächsten Tag berichtete sie George ausführlich, dass sie Verbindung zum Vorstand des Pan geknüpft und sich bei den Herren für ihn verwendet habe. Bei den Herren? Ida wusste, dass die Nennung von Dehmels Namen alle ihre Hoffnungen zunichte gemacht hätte.
    »Es geht ein großer Zug durch seine Dichtungen«, hatte Ida Weihnachten 1892 an George geschrieben, als sie Dehmels ersten Gedichtband Erlösungen als Geschenk erhielt, und ihm Dehmel sofort als Mitarbeiter für die Blätter empfohlen. 68 George war außer sich. Möglicherweise hing seine neuerliche Produktivität auch mit dieser Kränkung zusammen. Zwar galten ihm alle Dichter, die etwa gleichzeitig mit ihm die literarische Bühne betraten, sofern sie nicht zum Umkreis der Blätter gehörten, als minderwertig. Aber die Verachtung Dehmels reichte viel tiefer, hier ging es nicht bloß um mangelndes Talent. Wie kein zweiter verkörperte Dehmel alles, was George zuwider war. Was ihn abstieß, hat er in einem langen erregten Brief an Hofmannsthal dargelegt, der Dehmels Dichtungen einige Jahre später als die einzigen neueren Produktionen rühmte, die für ihn in Betracht kämen:
    Was Sie immerhin mit einem beträchtlichen lob ausstatten gehört für mich zum schlechtesten und widerwärtigsten was mir in die hände kam … Die von Ihnen hocherhobenen erzeugnisse leiden … unter der allen ungebildeten menschen eigenen zügellosigkeit und stil-verquickung: der verfasser verrät seinen völligen mangel an künstlerischer begabung dadurch dass er beständig und wider seinen willen ›seine gestalten mit den geheimen gebrechen seiner natur befleckt‹ … solche gereimten dinge aber sind mir – rein rechnerisch genommen – im geistesmaass zu gering. 69

    Richard Dehmel wurde 1863 im Brandenburgischen als Sohn eines Försters geboren, studierte zunächst Philosophie und Naturwissenschaften, dann Nationalökonomie, promovierte 1887 in Leipzig und war bis 1895 Sekretär des Verbandes deutscher Privat-Feuerversicherungsgesellschaften. Auf seinen ersten Gedichtband Erlösungen (1892), in dem er seine vorehelichen erotischen Abenteuer mit Paula Oppenheimer beschrieb, mit der er seit 1889 verheiratet war, folgte ein Jahr später Aber die Liebe . Der Band – oder wohl besser der Prozess vor dem Landgericht München, der zum Verbot einzelner Textpassagen wegen Unsittlichkeit führte – machte Dehmel mit einem Schlag einem breiteren Publikum bekannt. Viele der Gedichte waren inspiriert durch Dehmels neue Leidenschaft für die Übersetzerin Hedwig Lachmann. Weil er weder die Geliebte aufgeben noch die Ehefrau verlassen wollte, versuchte Dehmel die beiden Frauen von einer »Ehe zu dritt« zu überzeugen. Weitere Affären folgten. Seine erotischen »Wirbel« besang er anschließend auf plumpe Weise, meist hart an der Grenze zum Obszönen, auch mit Zerknirschungen über seine Obsessionen nicht geizend. So ließ er sich, stets auf der Suche nach Selbstverwirklichung im Erotischen, von einer Erregung zur nächsten treiben. Sein Vitalismus traf das Lebensgefühl vor allem jüngerer Leser und Leserinnen, die sich an Dehmels Gedichten »aus dumpfer Triebhaftigkeit zu einer geisterfüllten, lichten Existenz emporzuläutern« hofften. 70 Schon wenige Jahre später, im Zuge der einsetzenden Lebensreformbewegung, galt Dehmel »unbestritten als der größte lebende deutsche Lyriker«.
    Als Dehmel im August 1895 bei Ida Auerbach vorsprach, um sie in Sachen George mit dem Pan zu versöhnen, nutzte er die Gelegenheit, bei der Mäzenin ein gutes Wort für seinen Freund Detlev von Liliencron einzulegen. Liliencron, der jenen burschikosen Stil in die deutsche Lyrik eingeführt hatte, der für Dehmel zum Vorbild geworden war, lebte in ständiger Flucht vor seinen Gläubigern. Er war

Weitere Kostenlose Bücher