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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Monate. Manche dunkle Stelle im Sieg des Sommers rührte wohl auch daher, dass George vor einer unverhüllten, direkteren Ausdrucksweise zurückschreckte. Dass er mit der Verherrlichung seiner Liebe zu einem jungen Mann an eine höchst sensible Grenze stieß, über die er sich nur hier und da versuchsweise vorwagen konnte, war ihm durchaus bewusst. »Seid ihr noch nicht vom gedanken überfallen worden«, hieß es in den einleitenden Bemerkungen zu dem Heft der Blätter , in dem die Gedichte 1896 erstmals abgedruckt wurden, »dass in diesen glatten und zarten seiten vielleicht mehr aufruhr enthalten ist als in all euren donnernden und zerstörenden kampfreden?« 16
    Anders als die Freundschaft mit dem in Brüssel weitgehend isoliert lebenden Rassenfosse, die in der zweiten Jahreshälfte 1895 ihren Höhepunkt überschritten hatte, waren Georges Beziehungen zu Gérardy von Anfang an vielschichtiger. Zum einen erwies sich Gérardy als umtriebiger, geschickter Propagandist Georges. Die von ihm im Januar 1892 gegründete Zeitschrift Floréal , mit der er nach dem Ende von Mockels Wallonie den Kampf um die kulturelle Identität der Wallonen fortführte, brachte zahllose Hinweise auf George und sein Unternehmen, Übersetzungen, Kurzbesprechungen und Anzeigen; als er das Blatt 1893 einstellen musste, setzte Gérardy seinen Werbefeldzug für George in anderen französischsprachigen Zeitschriften fort. Zum anderen kam George durch Gérardy mit einer Reihe belgischer Literaten und einigen bildenden Künstlern in Kontakt, darunter Fernand Khnopff und August Donnay, die im zweiten Jahrgang der Blätter mit jeweils einer Zeichnung vertreten waren. Vor allem aber fühlte er sich von Gérardy emotional stark angesprochen, wie das Widmungsgedicht im Jahr der Seele bezeugte: »Im offnen
leben wo ihr all euch gleichet, / Wo ihr fast niemals wie ihr fühlet saget, / War manches kommen doch von starkem zittern, / War manche trennung voll zerdrückter tränen.« 17
    Im Frühjahr 1894 ging Gérardy, frisch vermählt, auf Hochzeitsreise nach Deutschland. Für einige Monate ließ er sich am Tegernsee nieder und fuhr von hier im November ein paarmal ins nahe gelegene München, wo er sich mit George, Wolfskehl und dem in Paris lebenden polnischen Dichter Waclaw Lieder traf. Gérardy, der sich besonders für Malerei interessierte, führte die Freunde durch die Museen, wo er »George und den andern das tiefere Verständnis der bildenden Künste erschloss«. 18 Ein Dreivierteljahr später veröffentlichte er eine kleine Broschüre, A la gloire de Böcklin , in der er, der französischen Kulturkritik folgend und zugleich an die Münchner Gespräche anknüpfend, Böcklin neben Wagner und Nietzsche stellte und sie als Dreigestirn zur Überwindung der Dekadenz feierte.
    Nachdem seine kleine Erbschaft 1895 weitgehend aufgezehrt war, beschloss Gérardy, sich auf Wirtschafts- und Finanzpolitik zu spezialisieren und seinenLebensunterhalt als Journalist zu verdienen. Ende Januar 1897 lud er George noch zu einer zweiwöchigen Reise nach Florenz und Venedig ein, deren Kosten er ihm vorstreckte. Dann aber drifteten ihrer beider Interessen immer weiter auseinander. Spätestens im Dezember 1899, als Gérardy in seiner Funktion als Redakteur der Brüsseler Gazette coloniale ihm von Plänen einer belgischen Finanzgruppe berichtete, in Kamerun eine Kautschukkonzession zu erwerben, und ihn bat, beim Kolonialamt ein paar Türen zu öffnen, muss George klar geworden sein, dass es nichts Verbindendes mehr zwischen ihnen gab. Schon im Juli, bei seinem letzten kurzen Aufenthalt in Brüssel, hatte er Gérardy aufgegeben: »als leiter einer geldmanns-wochenschrift wird er der Dichtung und sonderlich der deutschen verloren sein«. 19 Anfang des Jahrhunderts veröffentlichte Gérardy zwei gallige politische Satiren: die eine gegen den König von Belgien ( Carnets du Roi , 1902), die ihn zwang, vorübergehend nach Paris auszuweichen, die andere gegen den deutschen Kaiser ( Le grand Roi Patacake , 1903), die es ihm geraten erscheinen ließ, beim
deutschen Überfall auf Belgien 1914 Zuflucht in England zu suchen. Den Kontakt zu George hatte er längst verloren und ihn auch nach dem Krieg nicht zu erneuern versucht. Paul Gérardy starb, ein halbes Jahr vor George, am 1. Juni 1933 in Brüssel.

2
    Als Ende 1895 Georges vierter Gedichtband Die Bücher der Hirtenund Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten erschien, galt die Widmung den drei Freunden, mit

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