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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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größere Reise nach Paris dürfte der Wunsch gewesen sein, sich mit Richard Perls auszusöhnen, von dem er sich Ende Februar in München im Streit getrennt hatte. Perls’ Schicksal gab Anlass zu ernsten Sorgen.
    »Richard Perls war ein Jüngling von großer Schönheit, nicht unähnlich dem Jugendbilde Heinrich Heines, spöttisch-träumerisch und stark überzüchtet.« 30 Der hochbegabte Spross einer Breslauer Bankiersfamilie hatte mit 17 Jahren bei Helmholtz in Berlin Physik zu studieren begonnen und sich dann für Psychologie bei Lipps in München entschieden. Alle, die ihm begegneten, waren hingerissen, von seiner Schönheit wie von seiner intellektuellen Brillanz: Spielerisch, witzig, kultiviert, stets auf die Pointe bedacht, entfaltete Perls sein umfassendes Wissen. Er besaß eine kostbare Bibliothek von Erstausgaben und seltenen Drucken des französischen Symbolismus, dessen morbid schillernde Figuren ihn magisch anzogen. »Wenn es einen Menschen in Deutschland gab, der das wirklich verkörperte, was man damals ›fin de siècle‹ nannte, so war es dieser an Huysmans und Baudelaire, Verlaine und Mallarmé genährte, hoffnungslose junge Mensch.« 31 Hoffnungslos?
    Als George den 22-Jährigen im Frühjahr 1895 durch Ludwig Klages in München kennenlernte, war Perls bereits seit längerem dem Morphium verfallen. Die Sucht verlieh seinem ohnehin reizbaren, flackernden Wesen einen diabolischen Zug. Als kokettiere er damit, trug er eine Miniaturspritze als Ziergehänge an der Uhrenkette. Eine richtige Spritze lag immer in Reichweite, und sobald seine Spannkraft
erlahmte, setzte er sich, ohne Rücksicht auf die Umstehenden, einen Schuss. »Mit kühlem gift durchdringet müde glieder / Ein traum gewebt aus traurigkeit und sonne«, dichtete er in den Blättern . 32 Die Begegnung mit George gab dem Morphinisten neuen Auftrieb. Perls sei ihm vorgekommen wie »ein Toter auf Urlaub«, schrieb Theodor Lessing, ein Toter, »der fortan nur lebte, wenn George in München war; sonst verdämmerte er«. 33
    Im Mai 1895 zog es Perls in den Süden; über Sils-Maria und Innsbruck traf er im Oktober in Rom ein. Dort blieb er ein halbes Jahr und ging im April 1896 nach Paris, wo er in Verbindung mit Waclaw Lieder trat. Noch sei sein Zustand nicht lebensbedrohlich, schrieb er an George,
    aber wenn ich wirklich spüren sollte, dass die Gefahr schneller für mich heraufzöge, als ich gedacht, so erhalten Sie rechtzeitig Nachricht, oder noch besser, ich finde mich irgendwo am Rheine ein. Nein, seien Sie versichert, ich stehle mich nicht aus dem Leben, ohne meine Arme noch einmal um sie geschlungen zu haben … Wenn ein übergütiges Schicksal mir noch ein oder zwei Winter gewähren sollte, wie wäre es, wenn wir uns in einer kleinen mittel-italienischen oder belgischen Stadt zusammen einrichteten? Vergraben in Einsamkeit und Liebe, umstrahlt von dem Feuer einer Kunst, deren Seele alle Schwermut unserer scheidenden Welt getrunken, sollten wir nicht Tage verleben können, vorbildlich für solche, die immer schwerer zu leiden haben in dieser besten aller Welten? 34
    Als sich George in der zweiten Mai-Woche 1896 mit Perls in Brüssel traf, fand er ihn »in einem leiblichen und seelischen zustand der ernsteste befürchtungen auferlegt«. Zweieinhalb Jahre später, bei der Nachricht von Perls’ Tod, erinnerte er sich in einem Gedicht an die gemeinsamen Tage von Brüssel: »Du hörtest staunend mich nach langem wandern / Noch schwärmen für das unverlierbar Stete«. Aber aller Zuspruch »An weichen nebel-abenden in Flandern« habe den Freund nicht davon abhalten können, anschließend doch wieder zur Spritze zu greifen: »Ich hasste die vergeblich dunklen bahnen …« 35 Noch im selben Jahr ließ sich Perls zu einer Entziehungskur überreden; George besuchte ihn gemeinsam mit Klages Ende Januar 1897 in einem Sanatorium bei München. Drei Wochen später tauchte der Patient
überraschend bei George auf. Er hatte die Entziehungskur offensichtlich abgebrochen, und darüber kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihnen.
    Perls fuhr nach Paris, wo er sich jetzt ganz in die Obhut von Lieder begab. Als George ihn im April besuchte, entbrannte neuer Streit. Möglicherweise machte ihm George Vorhaltungen, dass er Lieder eine übermenschliche Leistung abverlange. »Perls geht es von Mal zu Mal schlechter«, schrieb Lieder am 4. Mai an George. »Es bilden sich immer neue Abszesse. Er hat nicht mehr die Kraft, zwei Schritte zu tun, selbst wenn er

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