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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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»Vom neuen Bunde« sprach. 41 Als er damals von seinem »hohen hause« herabgestiegen sei, um sich unter den Menschen eine »klause« zu suchen, so dichtete George wenig später, habe er sich wie ein »gast von fernem strande« gefühlt. Selbst die Freunde hätten ihn kaum verstanden, »zu fremd« sei man sich gegenseitig gewesen:
    Nur manchmal bricht aus ihnen edles feuer
Und offenbart dir dass ihr bund nicht schände.
Dann sprich: in starker schmerzgemeinschaft euer
Erfass ich eure brüderlichen hände. 42
    Ein weiteres, um die gleiche Zeit entstandenes Gedicht trägt den Titel »Schmerzbrüder«. Von Endzeitstimmung überschattet und aus eigener Kraft unfähig, sich gegen ihr Schicksal aufzulehnen, ergeben sie sich dem Schmerz am Untergang. »So zieht ihr im düster und euer geleit / Ist lächelnder strahl – ihr die sinkende zeit.« Das »geleit« gibt vorübergehend Hoffnung – »ein milderer ton«, »ein engeres schmiegen«, »ein deutendes schweigen« stellen sich ein. Aber während die Schmerzbrüder noch »mit zitternden armen« ihr flüchtiges Glück festzuhalten suchen, ist es ihnen bereits in eine schönere Zukunft enteilt: »Doch euer geleit hat vom morgen geträumt.« 43 Wie immer man das »geleit« interpretieren mag, durch das die Schmerzbrüder vorübergehend aus ihrer Ohnmacht befreit werden: George wusste sich mit ihnen in einer Schicksalsgemeinschaft. Sie alle waren »Pilger auf dem Kreuzweg des Idealen«. 44
    »Ich fühlte instinktiv, dass ich vor mir einen von denen hatte, die
des Leidens große Tiefe gepeilt haben«, schrieb der Schwede Gustav Uddgren über seine Begegnung mit George 1893. 45 Es war ein schmaler Grat, auf dem er ging. Einerseits fand George bei den Schmerzbrüdern die Bestätigung, die ihn an seine Mission glauben ließ. Andererseits wurde er sich im Umgang mit ihnen eigener Gefährdungen bewusst. Dabei machte er, wie schon in der Freundschaft mit Klein, die Erfahrung, für andere wichtig zu sein und gebraucht zu werden. Der gegenseitige Wunsch nach menschlicher Nähe verlieh den frühen Beziehungen einen milden, fürsorglichen Zug. Die Bedürftigkeit seiner Freunde bestärkte ihn allerdings auch in dem Gefühl, ihnen haushoch überlegen zu sein. Nach wie vor unfähig, eine Freundschaft auf Gegenseitigkeit zu gründen und sich auf ein Verhältnis von gleich zu gleich einzulassen, exponierte er sich als derjenige, an dem sich die anderen aufrichten konnten. Im Frühjahr 1896 fieberte Perls dem neuen Heft der Blätter entgegen, das hoffentlich wieder viele Beiträge von George enthalte: »Jede Zeile von Ihnen bedeutet Leben, Leben, Leben.« 46 Den Weichen, Schwachen und Beladenen durch das eigene Vorbild Mut zu machen: Das war, auf den kleinen Kreis der Schmerzbrüder begrenzt, Georges soziale Komponente.

3
    Die überragende Persönlichkeit unter den Freunden der frühen Jahre, der Gefährte, dem George in den Jahren zwischen 1894 und 1904 am meisten zu verdanken hatte, war Karl Wolfskehl. Mit über 1,90 Meter etwa einen Kopf größer als George und von mächtiger Statur, war er schon aufgrund seiner Erscheinung vollkommen ungeeignet für die Rolle des Jüngers. Er trug einen rötlich schimmernden Vollbart, der ihm das Aussehen eines Talmudgelehrten gab, neigte zu sinnlichen Genüssen, reagierte stark auf Frauen und war auch sonst in allem das Gegenteil von George. Stets in Eile und durch nichts und niemanden aufzuhalten, wenn er einmal Feuer gefangen hatte, extrem kurzsichtig, aber weit ausgreifend in seinen Gebärden, erinnerte er an
einen »großen Zugvogel … immer im Aufbruch nach einer anderen Hemisphäre«. Dabei besaß er »wie viele bedeutende Männer eine Art kindlicher Unschuld, die um so auffallender schien, als er doch mit allen Wassern des Zeitgeistes gewaschen war«. 47 Bald nach der Jahrhundertwende rankten sich um den »Zeus von Schwabing« fast ebenso viele Legenden wie um George selbst.
    Wolfskehl stammte aus dem »Geniegestüt« Hessen. 48 Wenn von Hessen die Rede war und das Gespräch auf seine Vaterstadt Darmstadt kam, geriet Wolfskehl derart ins Schwärmen, dass sich George, der zwar ebenfalls Hesse, aber in dem kleineren Bingen zu Hause war, schnell überrollt fühlte: »Karl, wenn man Sie so reden hört, könnt man meinen, Darmstadt wär der Nabel der Welt.« 49 Wolfskehls Wurzeln im Hessischen reichten tief. Die Familie, die nach dem Dreißigjährigen Krieg aus dem nahe gelegenen Flecken Wolfskehlen nach Darmstadt umgesiedelt war, zählte seit

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