Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Wie »ein junger melancholischer Prinz im Exil« habe er gewirkt, »gleichzeitig wunderlich und bedeutend, gleichzeitig närrisch und achtunggebietend«, erinnerte sich Theodor Lessing. »Selbst hinterm Maßkrug bewahrte der Hohepriester eine so würdige Haltung, dass mein Hohn ihn den Weihestefan nannte.« Lessing hielt das stilisierte Pathos keineswegs für schlechte Schauspielerei. »Die großen Attitüden … waren der natürliche Schutz einer überverletzlichen Seele, die sich umzirkt, weil sie im Alltag nicht blühen kann.« Was Wolfskehl nach seinem Studienabschluss nach München zog und was er dort anderthalb Jahre trieb, ist unklar. Er habe »paktiert«, schrieb er reumütig an Edward, und sei »auf dem besten Wege zu einem Bürger gemacht zu werden«. 56 Vor diesem Hintergrund lernten George und er sich im Herbst 1893 kennen.
Ein Jahr später brachte die Allgemeine Kunstchronik zwei Sondernummern über George und die Blätter für die Kunst ; federführend war Georg Fuchs, ein mit Wolfskehl befreundeter Darmstädter Literat und ehemaliger Schüler des Ludwig-Georgs-Gymnasiums. Zum ersten Mal wurde einem größeren deutschen Publikum das neue Unternehmen
als Ganzes vorgestellt. Neben zahlreichen Nachdrucken von Gedichten aus den Blättern und Beiträgen über verwandte Kunstbestrebungen (Karl Hallwachs über Hugo Wolf) enthielt das Novemberheft auch einen Aufsatz über George. Der Verfasser war Karl Wolfskehl:
Der königliche Priester, die flammenfarbene Binde um die hohe, helle Stirne: seine schlanken, müden Hände schichten an den Scheiten der Brände … stille Beter steigen langsam die Staffeln hinan, verschwimmen im tieferen Dunkel des Heiligtums, inbrünstig flehend, dass einmal, ach, der Herr das ersehnte, göttliche Antlitz ihnen zeige, wie er den Vätern gethan in alter, grauer Vorzeit und niemals seither … Der junge Priester steht und schichtet seine Scheite und seine Flamme lodert … und zum erstenmale erklimmt er die Stufen, umflossen von rieselnden Gluten wie von einem Purpurmantel. Und wie er einschreitet in die Dunkelheiten und ihre schwarzen Schleier sinken, siehe, da begab sich das Wunder, das sie lange und vergebens erfleht. Zum erstenmale tritt er hinaus vor seine Volkesbrüder, der Schöpfer der tiefen und dunklen Sänge … der Dichter Stefan George . 57
Als hätte er Böcklins »Heiligen Hain« vor Augen, stilisierte Wolfskehl das Auftreten Georges zum epochalen Ereignis. Weil der gegenwärtige Zustand der deutschen Literatur »es einem vornehmen Geiste nicht leicht macht, in der Öffentlichkeit zu erscheinen«, habe der Dichter auf seine ausländischen Freunde vertraut und sich hierzulande bisher zurückgehalten. Und doch sei durch ihn bereits eine Schule begründet. »Von dem gewaltigen Eindrucke, welchen seine Werke in den jüngeren Dichtern hinterließen«, zeuge vor allem Hofmannsthals Tod des Tizian , »in dem Georges Dichten in glänzender Neugestaltung wiedertönt«. Anknüpfend an Georges eigene Vorstellungen formulierte Wolfskehl entscheidende Stichworte für die künftige Rezeption in Deutschland. Hier bahnte sich eine von gegenseitigem Respekt getragene Arbeitsgemeinschaft an, in welcher der eine im Laufe der Jahre intellektuell umsetzte, was der andere mehr oder weniger vage an Ideen vorgab.
Als Erstes erweiterte Wolfskehl das Bild des Dichters als Priester, mit dem er den George-Aufsatz in der Kunstchronik eröffnet hatte, zu einer Prosaskizze für die Blätter . Er nannte das Stück, mit dem er
George als Künder eines neuen Reiches feierte, »der Priester vom Geiste«. Der Dichter, der sich in jahrelanger Selbstkasteiung um höchste Ziele verzehrt habe, sei am Ende belohnt worden: »Eigne flamme hatte dich geläutert, du selbst hattest das ziel gefunden, das unerreichbar stets erreichte. Ihr eignes leben musste deine seele hingeben, auf dass sie leben könne … Ein neues priestertum ist erstanden ein neues reich den gläubigen zu künden … Der pfad zum leben ist gefunden, der heilige weg auf dem jeder schritt ist gleichwie ein triumphgesang.« 58 In diesen Triumphgesang stimmte Wolfskehl ein, ohne sich freilich die Melodie vorschreiben zu lassen – ein Kunststück, das nicht vielen gelang. Zweierlei kam ihm hierbei zugute: die emotionale Distanz, die aufgrund ihres unterschiedlichen Naturells von Anfang an zwischen George und ihm bestand, und seine Religiosität, die ihn vor Idolatrie bewahrte.
Wolfskehl lehnte es ab, sich auf George anders einzulassen als
Weitere Kostenlose Bücher