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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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sie formal unausgereift waren, übertrafen sie an Gehalt doch das meiste, was die Blätter ihren Lesern sonst zumuteten. Der Vorwurf, den Stefan Zweig 1903 in seiner Besprechung von Wolfskehls Gesammelten Dichtungen erhob, sie seien »wie die mittelmäßigen Verse Stefan Georges … stark gewässerter Wein in die alten Krüge gegossen«, ging im Kern an der Sache vorbei. 70 Im Gegenteil, zahlreiche Themen und Bildmotive wie auch die starke Tendenz zum Okkulten oder die hymnische Feier der Gemeinschaft sind bei Wolfskehl zum Teil deutlich früher ausgeprägt als bei George.
    Viele seiner Gedichte und Essays lassen erkennen, wie schwer es Wolfskehl gefallen sein muss, beim Thema zu bleiben und sich auf das, was er sagen wollte, zu konzentrieren. Sein enzyklopädisches Wissen verleitete ihn zu immer neuen Assoziationen. Wolfskehl war nun einmal nicht der Mann des geschriebenen, sondern des gesprochenen Wortes. »Wie blass sind alle meine Schriftlichkeiten gegen meine lebendig schwirrende Rede und wie wenig von mir kann man aus allen meinen fixierten Meinungen erraten.« 71 Erst im Gespräch – und nur im Gespräch – konnte Wolfskehl sich so entfalten, wie es seiner Natur und Anlage entsprach.
    Ich habe ihn sich unterhalten hören mit Völkerforschern über Totemismus oder »Trojaburgen«, mit Altphilologen über schwierige Probleme der Metrik in den Chorgesängen der Tragiker, mit Archäologen über die antike Oikos-Idee, über den Brauch der Theoxenien, über Inkubationsmantik, mit Ägyptologen über die anch-Schlinge (Henkelkreuz, »Nilschlüssel«), mit Tonkünstlern über abseitige Kapitel der Musikgeschichte, mit sehr unterrichteten Ästheten über Lecomte de Lisle, François Coppée, Huysmans, Henri de Régnier, Rimbaud, Wilde, Beardsley und gewann jedesmal den Eindruck, der Aussprache zweier Fachleute beizuwohnen, da denn … er den »eigentlichen« Fachmann womöglich an Kenntnissen, bestimmt aber an scharfsinniger Ausdeutung hinter sich ließ. 72
    Wolfskehl erschloss George die Schönheiten Jean Pauls, führte ihn ein in die Welt Bachofens und wies ihn auch sonst auf manchen Einzelgänger hin. George bediente sich gern aus dem Wolfskehlschen Bildungsfundus, konzentrierte sich dabei aber stets auf das, was er unmittelbar für sich nutzen und umsetzen konnte; alles andere hielt er für Ballast. Wolfskehl war jede Selbstbeschränkung fremd. »Es gibt nichts was mich nicht interessiert! Alles ist wichtig!« 73 Wolfskehls Umtriebigkeit und intellektuelle Neugier verstörten George, der ohnehin ein tief sitzendes generelles Unbehagen gegenüber Intellektuellen empfand, die sich für alles gleichermaßen zu begeistern schienen. Dass sich Wolfskehl, wenn er einmal in Fahrt war, unterschiedslos vor jedem Publikum über jedes Thema verbreiten konnte und dabei wenig Rücksicht nahm, sorgte für zusätzlichen Ärger. Von 1904 an verbot George jüngeren Freunden Besuche bei Wolfskehl, dessen »Herumwuseln in Menschen« seine eigenen Bemühungen zu unterlaufen drohte. 74
    George hatte schon früh die Erfahrung machen müssen, dass Wolfskehl nur schwer zu bändigen war. Im März 1896 berichtete dieser aus Berlin, dass er einige Male »bei Frau Auerbach« gewesen sei: »Einen Abend hab ich – Sie werden staunen – mit D. v. Liliencron und Dehmel bei ihr verbracht. Liliencron ist ein herzensguter naiv fröhlicher Mensch von einer wirklich schönen Jugendlichkeit und auch D[ehmel] bietet persönlich viel, mehr als seine Gedichte mich wenigstens ahnen lassen.« Dehmel sei »ein Suchender« und habe für
George und die Blätter »grosses und wie ich sicher glaube ungeheucheltes Interesse«. Jedenfalls könne es nicht schaden, »einen Grenzverkehr [zu] unterhalten«. George, der sich in Brüssel aufhielt, antwortete erstaunlich gelassen: »Besonders thut es mir weh Sie in solcher gesellschaft zu sehen. Doch ich vermute in Ihnen genügend schärfe um die oft gleissenden firnisse jener kunst und geistniedrigen wesen zu durchdringen. Hier soll es keine verträglichkeit geben.« Wolfskehl suchte mögliche Zweifel Georges auf der Stelle zu zerstreuen: »Wie hätte ich mich je Ihren Jünger heissen dürfen wenn ich nun schwanken könnte. Aber Sie kennen mich und meinen Menschenhunger und werden mir nicht verübeln dass ich alles Leben zu erkennen trachte: gewählt habe ich für heute und für immerdar.« 75
    George hätte Wolfskehl, zumal nach Kleins Ausscheiden aus der Redaktion, gern stärker in die Arbeit an den Blättern

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