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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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auf dem direkten Weg über seine Dichtung. Alles, was ein Künstler zu sagen habe, sage er in seinem Werk, und je umfassender er sich darin ausdrücke, desto weniger interessiere das Biographische. In diesem Punkt waren sich George und Wolfskehl von Anfang an einig. Wolfskehl erfasste jedoch schnell, wie schwierig George im Umgang sein konnte, und hielt auch aus diesem Grund lieber auf Abstand. Er wollte sich sein Bild des Dichters nicht trüben lassen. Noch im Exil nannte er es kontraproduktiv, sich mit der Person Georges zu beschäftigen. »Es gibt kein Privatleben des Meisters«, warnte er. »Stefan George ist fast der einzige Mensch in der dokumentierten Geschichte, der ganz und nur sein Werk, seine Schöpfung ist! Jedes Wissen um die organische Existenz mit all ihren Gesetzen und Zufällen (Schnupfen, Lieben) beleuchtet nicht sein Bild, sondern trübt dessen wirkende Macht über die Seelen.« 59 Weil er fürchtete, dass seine Begeisterung für die Dichtung durch ein gründlicheres Eingehen auf den Dichter Schaden nehmen könnte, erklärte er Stefan George zu einem Wesen ohne Biographie, zum Schöpfer seiner selbst und damit schlicht zur Kunstfigur. Eine bequemere und zugleich heroischere Sicht konnte sich George nicht wünschen. »Man sieht je länger je mehr in mir was
Wolfskehl das Außerpersönliche nennt«, meinte er 1910 stolz. 60 Die Tabuierung der Privatsphäre war der erste Schritt auf dem Weg zur Mythenbildung.
    Eine zweite wichtige Weiche stellte Wolfskehl, indem er den bei George nur rudimentär vorhandenen religiösen Ansatz in den Mittelpunkt rückte und das »Wunder« zum Ziel ihrer gemeinsamen literarischen Wallfahrt erklärte. Auch hier lag möglicherweise, zumindest unterbewusst, eine Abwehrhaltung zugrunde. Wenn Wolfskehl über Dichtung sprach, dachte er in den Kategorien heilig und profan, und genau wie George war er davon überzeugt, dass das Heilige vor dem profanen Zugriff der Menge geschützt werden müsse. Aber dieser Antagonismus besaß für jeden einen anderen Stellenwert. Georges Glaube an die Dichtung war ein durch und durch säkularisierter Glaube, dessen letzte Gewissheit in der eigenen Person gründete: Die Dichtung war eine Macht, solange er diese Macht repräsentierte. Eine derartige Identifikation und Zuspitzung war für Wolfskehl undenkbar. Er stand in der jüdischen Überlieferung, in der dem Wort als Offenbarung Gottes theologische Bedeutung zukam. »Solche Heiligkeit des Niedergeschriebenen, des Kodifizierten bleibt andern Glaubensformen fremd.« 61 Religion war für Wolfskehl Dienst am Wort. So nahm jene Theologisierung der Dichtung ihren Anfang, die 1904 in der »Apotheosis Maximini« (Wolfskehl) gipfelte.
    Weil er von der Person abstrahierte und sein Eintreten für George als eine religiöse Handlung verstand, wahrte Wolfskehl seine Selbstständigkeit und verfiel bei allem Eifer, mit dem er Georges Positionen manchmal sogar gegen seine eigenen Überzeugungen vertrat, niemals dumpfem Jüngertum. Sein Selbstverständnis als Jude sicherte ihm immer wieder den nötigen Freiraum. »Bewundern in Thun umgesetzt heisst nicht nachahmen, fremdes herübernehmen, sondern im Eigensten auf eigenste Weise der fremden Grösse entgegenzueilen!« 62 Dass George trotz mancher Differenzen an ihm festhielt, erfüllte Wolfskehl mit Stolz und gab ihm jene Gelassenheit, mit der er in späteren Jahren auch die Auswüchse des Woltersschen Personenkults ertrug. Die Vorstellung eines Kreises, dessen Mitglieder sich über die größtmögliche
Nähe zum Meister definierten, hielt er für abwegig. Schon die Frage nach der Zugehörigkeit schien ihm in die falsche Richtung zu gehen: »Wer ›dazu‹ oder ›nicht dazu‹ gehöre war nie auszumachen vom Tag her.« 63 Die Exklusivität des Kreises lag für ihn nicht in seiner historischen Einmaligkeit, sondern in der Tatsache, dass bei entsprechender »Verdichtung der magischen Kraft« 64 Ähnliches zu jeder Zeit an jedem Ort möglich war.
    In einem Text, der sich am Schluss der dritten Blätter -Folge findet und eine Art Pendant zu dem Stück über den »Priester vom Geiste« bildet, suchte Wolfskehl die Magie des Wortes zu ergründen. »Warum lieben denn die menschen mehr die finsterniss denn das licht?«, fragte er in dem Stück »Über die dunkelheit«. Weil sie Erkenntnis suchen und »alles wissen der welt uns nimmer das grosse erkennen schenken kann«. Das »geheimnisvolle miteinanderleben das die gemeinschaft zweier seelen zu einer schauerlich und

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