Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
herauszugeben. Warum sollte, was in Holland gelungen war, nicht auch in Deutschland möglich sein: in einem Periodikum alle gleich gerichteten Aktivitäten zu bündeln und damit verstärkt Einfluss zu nehmen auf die geistige und kulturelle Entwicklung der Nation?
Noch zu Beginn des Jahres 1895 hatte die Blätter -Redaktion vehement Empfehlungen zurückgewiesen, »den erklärenden teil unseres unternehmens« zu erweitern. »Die verdehnte hergebrachte redeweise«, vulgo Tagesschreiber- und Gelehrtenprosa, werde auch in Zukunft keine Aufnahme finden. Man beabsichtige auch weiterhin, »vom selbstverständlichen genugsam behandelten endlich einmal zu schweigen« und die Leser stattdessen »in einen saal [zu] geleiten mit seltenen und wie wir glauben manchen schönen dingen«. 37 Nachdem dann fast ein Jahr lang kein einziges Heft zustande gekommen war, deutete sich im Januar 1896 eine Kehrtwende an. In den redaktionellen Mitteilungen war plötzlich die Rede »von einer bevorstehenden erweiterung unsrer hefte ohne abänderung der verbreitungsart, von einer erfreulichen zunahme unsres anhanges« und – das bezog sich auf Verwey und Dessoir – »von gewichtigen anerkennungen«. 38 Demnach dachte George zunächst an eine thematische Ausweitung der Blätter , gab im Verlauf des Jahres 1896 dann aber einer Zeitschriftenneugründung den Vorzug.
Da seine Blätter keinerlei öffentliche Wirkung erzielten, war George fest entschlossen, jetzt andere Wege zu beschreiten. Schon in der März-Nummer fanden sich die ersten Positionsbestimmungen, mit
denen das künftige Terrain abgesteckt wurde. An der Abfassung dieser Texte, die später unter der Rubrik »Merksprüche« erschienen, war vor allem Karl Wolfskehl beteiligt. In kurzen Betrachtungen und Aphorismen bezogen sie Stellung gegen den gesamten Kulturbetrieb im kaiserlichen Deutschland. Literatur, Malerei und Theater, Wissenschaft, Philosophie und Kunstgewerbe – alles wurde für gestrig, bestenfalls zweitrangig erklärt. Offenbar glaubten die beiden Autoren, mit ein paar ex cathedra formulierten, teilweise ziemlich holprigen Bemerkungen über den allgemeinen Geschmacksverfall die Aufmerksamkeit des Publikums wecken zu können. Die gewollte Polarisierung trug zwar zur Verdeutlichung des eigenen Standpunkts bei, außerhalb des Zirkels aber verhallten die hohen Verlautbarungen ungehört.
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Hofmannsthal hatte bereits im Juli 1893 darauf aufmerksam gemacht, dass die Blätter für die Kunst für Außenstehende schwer zugänglich seien. Er verspüre »die fast vollständige Rathlosigkeit des Publicums einem so fremdartigen und herb-wortkargen Unternehmen gegenüber« und rate zu mehr Aufklärung über Zweck und Ziel der Zeitschrift. 39 Georges Antwortbrief fehlt. Er muss Hofmannsthal so in Rage versetzt haben, dass er die Beziehung vorerst einstellte; es sei offenbar unmöglich, sich mit George zu verständigen. Einen beleidigenden Brief Kleins vier Wochen später, kein Mitarbeiter könne sich so ohne weiteres vom Acker machen, ließ Hofmannsthal unbeantwortet. Neun Monate nach seiner Gründung steckte das Unternehmen in seiner ersten Krise.
Ende März 1895, mehr als anderthalb Jahre später, schickte George, als habe es nie eine Trübung gegeben, ein gebundenes Exemplar der vollständigen zweiten Folge nach Wien. In seinem Begleitschreiben kündigte er an, dass »noch in diesem jahre … unsere ›Blätter‹ sich äusserlich einer kleinen änderung unterziehen (vielleicht nehme ich
alles in hand) und ich hoffe auf Ihre mithülfe«. Im Oktober gab er noch einmal seiner Überzeugung Ausdruck, dass, wenn sich die Blätter demnächst »zu einer zeitschrift künstlerischer wie beschreibender art erweitern, Ihre mitarbeiterschaft uns nicht versagt bleibt«. 40 Hofmannsthal, der im Herbst sein Freiwilligenjahr abgeleistet hatte, bekundete wohlwollendes Interesse. Nachdem er in den letzten drei Jahren gerade einmal mit vier Stücken in den Blättern vertreten gewesen war, steuerte er zu den ersten beiden Heften der dritten Folge 1896 sieben Gedichte bei – darunter die »Ballade des äußeren Lebens«, »Weltgeheimnis« und das berühmte »Manche freilich müssen unten sterben« (wie es im Erstdruck hieß).
Im Frühjahr 1896 begannen George und Hofmannsthal wieder regelmäßiger zu korrespondieren. Die gegenseitigen Irritationen ließen nicht lang auf sich warten; die Rollen waren verteilt wie vordem: George hielt über Monate an der Illusion fest, Hofmannsthal in Zukunft stärker
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