Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
Vom Netzwerk:
Die Schatten über Holland wurden von da an länger.
    Der 1865 geborene Verwey galt Mitte der neunziger Jahre bereits als einer der Großen der holländischen Literatur. Im Alter von 16 Jahren hatte er sich dem sechs Jahre älteren, exzentrischen Willem Kloos angeschlossen, der ihn zum Dichten ermutigte und später in die Redaktion des Nieuwe Gids berief. Über diese Zeitschrift gelang es der Gruppe der »Achtziger« innerhalb kurzer Zeit, das Monopol der holländischen Pastorenlyrik zu brechen und ein Umdenken in Kunst und Kultur in die Wege zu leiten. Aber die Wortführer zerstritten sich und verfolgten ihre unterschiedlichen Interessen bald in wechselnden Fraktionen, die sich zum Teil gegen die Bundesgenossen von einst richteten. Verwey überstand die Auseinandersetzungen einigermaßen unbeschadet und schuf sich 1895 mit der Gründung der Tweemaandelijksch Tijdschrift – der später weitere Gründungen folgten – ein neues Forum. Als »ein gewandter Dialektiker, ein Meister der versöhnlich-überlegenen Vermittlung von Widersprüchen« 30 sah er seine Hauptaufgabe von nun an in der Verteidigung des einmal Erreichten. Von seiner umfangreichen Tätigkeit als Kritiker und Essayist legt seine 1921-23 in zehn Bänden erschienene Proza eindrucksvoll Zeugnis ab. Dichtung aber stand für Verwey an oberster Stelle.

    Verweys erster, 1889 erschienener Gedichtband enthielt unter anderem den an Kloos gerichteten Zyklus »Von der Liebe die Freundschaft heißt«. Ein Jahr nach Veröffentlichung war die Beziehung in die Brüche gegangen, weil Kloos die Eheschließung Verweys mit Kitty van Vloten als Verrat ihrer Freundschaft empfand. Der Zyklus weckte Georges besonderes Interesse. Im Anschluss an seinen ersten Besuch in Noordwijk 1895 war er nach Brüssel gereist. Nachdem er schon im Zug »mit grossem genuss allerdings auch mit grosser schwierigkeit« in den Gedichten gelesen hatte, machte er sich an eine Übersetzung. Da seine Holländischkenntnisse rudimentär waren, kann er die Gedichte nur mit Hilfe von Edmond Rassenfosse übersetzt haben, mit dem er sich in Brüssel verabredet hatte. Dass George in dem Brief, in dem er Verwey die Übersetzung von zwei Sonetten ankündigte, den Titel des Zyklus falsch wiedergab, lässt ahnen, wie stark er in diesen Tagen vom Freundschaftserlebnis berauscht war. Er habe, schrieb er, »zwei sonnette aus dem Kranz: ›Von der freundschaft die Liebe heisst‹ ins deutsche übertragen«. Das war mehr als ein lapsus calami , es war eine Freudsche Fehlleistung. 31
    Seit Beginn der neunziger Jahre hatte Verwey keine Gedichte mehr geschrieben. Er steckte in einer ihn stark verunsichernden Umbruchphase, aus der er sich vor allem durch intensive Spinozalektüre zu befreien suchte. Durch gründliches Nachdenken über die Zusammenhänge von Gott und Natur hoffte er seinem Ideal einer universalen Poesie näherzukommen. In seinen ab 1896 in geringen Abständen erschienenen Gedichtbänden, die untereinander allesamt korrespondierten, wollte Verwey einerseits so unverfälscht wie möglich die Idee als solche zum Ausdruck bringen, was den Gedichten einen hohen Abstraktionsgrad verlieh. Andererseits versah er fast alle seine Gedichte mit einem Datum und veröffentlichte sie grundsätzlich in der Reihenfolge ihres Entstehens. 32 Schon die Zeitgenossen empfanden die angestrebte Totalität mitunter als bleiern und taten sich schwer mit der Lektüre.
    Der Zug ins Monumentale, der unbedingte gestalterische Wille, mit dem die Einheit des Werkes von Band zu Band vorangetrieben wurde, überzeugte George. Da er seinerseits von anderen, dem Verweyschen
Pantheismus fremden Voraussetzungen ausging und jeden philosophischen Überbau für seine Dichtung ablehnte, gab es reichlich Gesprächsstoff. Ähnlich wie ihre unterschiedlichen nationalen Konzeptionen sollte auch ihre unterschiedliche Poetik nach der Jahrhundertwende zu Divergenzen führen. Vorerst war davon nichts zu spüren. Verwey und George standen in einem kontinuierlichen geistigen Austausch auf hohem Niveau. Es waren Gespräche, wie sie Verwey seit Jahren vermisst und wie sie George nie gekannt hatte. Die entscheidenden Richtungskämpfe in Holland lagen zwar einige Jahre zurück, aber Verwey erinnerte sich lebhaft und wusste manchen nützlichen Rat zu geben. George interessierte sich besonders für Verweys Tätigkeit als Herausgeber der Tweemaandelijksch Tijdschrift . Dank dieser Zeitschrift, die ihm die Möglichkeit gab, sich auf allen Gebieten von Kunst und

Weitere Kostenlose Bücher