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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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insgesamt zu unbedeutend. Vor allem aber misstraute er dem Modell als solchem.
    Als Hofmannsthal und George im Sommer 1902 ihr Verhältnis zu bilanzieren suchten, drehte sich alles um diesen einen Punkt. Nach dreijährigem Schweigen hatte Hofmannsthal Anfang Mai einen langen, melancholisch-liebenswürdigen Brief an George geschrieben: »Seien Sie versichert, daß mich die verfließenden Jahre Ihnen nicht entfremdet, sondern näher gebracht haben.« 55 – »Ihr brief voller freundlichkeiten wirkte auf mich sehr wohltätig«, schrieb George zurück, »nur kann ich ihn nicht in der gleichen weise beantworten.« Da sie seit der Gründung der Blätter kein wirkliches persönliches Wort miteinander gewechselt hätten, müsse er erst einmal loswerden, »was ich gegen Sie auf dem herzen habe«. Statt sich eindeutig zu den Blättern zu bekennen, sei Hofmannsthal von Anfang an ängstlich ausgewichen und habe, obwohl es sich doch »um nichts handelte als um den eindeutigen kampf des guten wider das anerkannt schlechte«, die gemeinsame Sache immer wieder verleugnet: »Ich war des festen glaubens dass wir, Sie und ich, durch jahre in unsrem schrifttum eine sehr heilsame diktatur hätten üben können, dass es dazu nicht kam dafür mach ich Sie allein verantwortlich.« 56

    Den zentralen Vorwurf, seiner eigentlichen Berufung ausgewichen zu sein, wollte Hofmannsthal nicht im Raum stehen lassen. Zwar räumte er ein, dass ihm in den ersten Jahren »nebst der Lebensreife« auch die Übersicht gefehlt habe und er daher zu manchem Fehlurteil gelangt sei. Andererseits aber hätten ihn die Hervorbringungen der Blätter »mit einer heftigen Ungeduld« erfüllt. Außer Georges Gedichten – und seinen eigenen – seien ihm die Beiträge in den Blättern stets unerquicklich gewesen. »Es wird mir nicht ganz leicht, die tiefere Wurzel dieser Antipathie aufzudecken, ja mir selber Rechenschaft zu geben.« Der getragene Ton der in den Blättern veröffentlichten Gedichte wirke auf ihn verlogen, weil er etwas vortäusche, was er künstlerisch nicht einlöse, nämlich »Ausdruck der Herrschaft über das Leben« zu sein. Je getragener die Verse daherkämen, desto unglaubwürdiger erschienen sie ihm als »Lebensäußerung des mittelmäßigen Poeten«. 57
    Die Sätze trafen George schwer, und es verstrich einige Zeit, bis er den Brief beantwortete: »es ist darin kaum ein punkt wo ich nicht genau das gegenteil fühle.« Hofmannsthal hatte dem auf Erhöhung des Lebens zielenden Ideal der Blätter sein eigenes Ideal entgegengehalten, »dem Geist unserer verworrenen Epoche auf den verschiedensten Wegen, in den verschiedensten Verkleidungen beizukommen«. Allerdings habe er im Lauf der Zeit »die ungeheure Verworrenheit unseres geistigen Lebens mit Grausen erkennen« müssen und sich deshalb immer weiter zurückgezogen. Hier hakte George ein. Wer etwas verändern wolle, bedürfe in erster Linie der Führung: »wol weiss ich: durch alle haltung und führung wird kein meisterwerk geboren – aber ebensogut wird ohne diese manches oder alles unterdrückt.« Gerade die von Hofmannsthal so gerühmte »höhere tagesschriftstellerei« erfordere »das strenge sich-aufeinenpunktstellen«. Was aber den Kreis der Mitarbeiter der Blätter für die Kunst angehe, so befinde sich Hofmannsthal
    in grossem irrtum wenn Sie dort die von Ihnen angeführte unehrlichkeit und falsche abgeklärtheit wittern – es sind alle menschen von guter geistiger zucht mit denen Sie wenn Sie sie kennten, aufs schönste leben würden …
Und nicht einmal von den ganz kleinen will ich schweigen, den zufälligen schnörkeln und zierraten, die ich an sich betrachtet völlig preisgebe. Dass aber diese kleinsten solche arbeit zu liefern vermochten: dass man ihnen rein handwerklich bei aller dünnheit nicht soviel stümperei anzukreiden hat als manchen Vielgerühmten: das scheint mir zeitlich und örtlich betrachtet für unsre kunst und kultur von höherer bedeutung als alle versbände und alle theaterstücke auf die Sie damals hoffnungen sezten. In den »Blättern« weiss jeder was er ist … Wenn aber auch Sie mir erklärten dort nur eine ansammlung mehr oder minder guter verse zu sehen – und nicht das BAULICHE (construktive) von dem freilich heut nur die wenigsten wissen – so würden Sie mir eine neue grosse enttäuschung bringen. 58
    Als der Brief in Rodaun eintraf, befand sich Hofmannsthal in einer tiefen Depression. Er fühle sich vollkommen ausgelaugt, nichts rege ihn mehr an, alles

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