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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Literatur, Wissenschaft und Politik einzumischen, war Verwey im kulturellen Leben seiner Heimat eine feste Größe, dauerhaft präsent.
    Was seine eigene Zeitschrift anging, strebte George schon seit längerem sowohl eine häufigere Erscheinungsweise an als auch eine thematische Ausweitung. Seit einiger Zeit führte er darüber Gespräche mit Max Dessoir, einem Privatdozenten für Philosophie an der Berliner Universität. Im November 1895 hatte Dessoir in seinem Seminar einen Vortrag über George gehalten, an den sich eine nähere Bekanntschaft knüpfte, und schon bald schmiedeten der junge Privatdozent, der nur anderthalb Jahre älter war als George, und der unbekannte Dichter Pläne, gemeinsam eine Zeitschrift herauszugeben. Dessoir schaltete auch seinen Verleger ein, der das Unternehmen jedoch skeptisch beurteilte.
    Im Frühjahr 1896 erschien Dessoirs großer Aufsatz über »Das Kunstgefühl der Gegenwart« als Fortsetzung in Westermanns Monatsheften . Die Abhandlung, nichts weniger als der Versuch einer Gesamtdarstellung sämtlicher Strömungen und Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst, gibt noch heute »einen ausgezeichneten Überblick über den Stand der Diskussion unter den meinungsbildenden Vertretern des Bildungsbürgertums«. 33 Als Erstes fertigte Dessoir den Naturalismus ab, bei dem es sich »um eine Übergangsbewegung handelt, durch die das bisherige Schöne verneint wird, die aber ein
neues Ideal noch nicht kennt«. Zwar sei durch diese Protestbewegung »wenigstens ein Kunstbedürfnis zweiten Ranges … die Ahnung eines anderen, das not tut, in unser Volksleben wieder eingeführt« worden. Aber eine Kunst, die sich an der Wirklichkeit abarbeite, könne niemals sinnstiftend werden. Als einziges Beispiel für eine neue autonome Kunst, wie er sie fordere, eine Kunst, die vom »Krankenstubengeschmack« des Naturalismus wie von der »Nebelhaftigkeit« der französischen Symbolisten gleich weit entfernt sei, nannte Dessoir die Blätter für die Kunst . Auch wenn für die Leser der auflagenstarken Monatshefte manches ziemlich umständlich formuliert war und vieles abstrakt geblieben sein dürfte, hatte Dessoir mit seinem Aufsatz doch ein paar Schneisen geschlagen.
    George empfand Dessoir als »angenehmen Plauderer«, mit dem sich trefflich über die Gesetze der Ästhetik, okkulte Erscheinungen und Parapsychologie spekulieren ließ. 34 Gleichwohl blieb er auf Distanz. Dass er gut damit beraten war, bewiesen ein halbes Jahrhundert später Dessoirs Memoiren, in denen mit sichtlichem Vergnügen Kuriositäten kolportiert wurden wie die, George habe auf buntem Bettzeug bestanden und sich im Übrigen »nicht ganz reinlich« gehalten. Aus dem angenehmen Plauderer war im Laufe der Jahre ein Schandmaul geworden. Vieles von dem, was Dessoir zu berichten wusste, stammte aus zweiter Hand, so auch die Geschichte von der angeblich mangelhaften Sauberkeit Georges – »ein Arzt, der ihn behandelte, hatte mir das … anvertraut«. 35
    1899 hatte der inzwischen zum Extraordinarius beförderte Dessoir den Dichter noch dafür gewinnen können, in einer seiner Poetik-Vorlesungen Gedichte vorzutragen. Im Seminar saß auch die 22-jährige Edith Kalischer, spätere Landmann:
    Dessoir erschien eines Tages in Begleitung eines Herrn, der sich auf einen Stuhl in der Nähe des Katheders setzte, und sagte im Verlauf der Vorlesung, dass Herr Stefan George die Freundlichkeit haben werde, einige Gedichte so, wie sie nach der Vorstellung des Dichters gelesen werden sollten, selbst vorzutragen. Womit George das Katheder bestieg und Gedichte las … Mir blieb der Eindruck von etwas leidenschaftlich Hohem und Feierlichem, noch aber konnte ich Gedichte, und nicht nur wegen der damals noch ziemlich stark vom Dialekt gefärbten Aussprache des Dichters, im Hören nicht aufnehmen. 36

    Bei ihren Gesprächen über eine von ihnen herauszugebende Zeitschrift für das gesamte Kulturleben waren George und Dessoir im Frühjahr 1896 nicht recht vorangekommen. Sobald es an die konkrete Umsetzung ging, musste George einräumen, dass es am wichtigsten fehlte: an zuverlässigen, tüchtigen Mitarbeitern. George sei schon froh gewesen, schrieb Verwey, dass wenigstens die Blätter für die Kunst erscheinen konnten, wenn auch oft nur mit erheblicher Verzögerung und unter Rückgriff auf Übersetzungen. Bei seinem Besuch in Noordwijk im September 1896 begeisterte sich George von Neuem für die Idee, eine regelmäßig erscheinende literarische Rundschau

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