Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
dann und wann zu ahnen. Wie glücklich werde ich sein, vieles Wahrheit für mich werden zu lassen, was in Ihren Werken mir noch Gleichnis ist.« 63 Die von George immer wieder beschworene Gemeinschaft ein Gleichnis, der »Ring« eine literarische Fiktion? Ganz falsch lag Hofmannsthal mit dieser Vermutung nicht.
Der Wunsch, einen Freundeskreis um sich zu sammeln, der beides in einem war, Inspirationsquelle und Resonanzraum, begleitete George seit den Schultagen. Eine ihn befriedigende Realisierung dieses Konzepts, in dem er früh eine Lösung für sich gefunden zu haben glaubte, ließ zwar noch immer auf sich warten. Trotz aller Mängel und Schwächen bei der Umsetzung hielt George jedoch an der Vorstellung fest, dass nur der Geist der Gemeinschaft vor den Zersplitterungen rette. Zwei Jahre nach dem Chandos-Brief gab er mit der Apotheose Maximins seine Antwort auf die von Hofmannsthal beschriebene Krise der Moderne.
7 Der Durchbruch
Von Anfang an suchte George seine Vita auf sein Werk abzustimmen, den Lebenslauf der dichterischen Produktion anzupassen. So wie er dieses Leben Band für Band ordnete, so sollte es gesehen werden: als das Leben eines Dichters, der über alle biographischen Zufälligkeiten erhaben war. Hielt er eine Phase für beendet, setzte er eine Zäsur, indem er die Gedichte, die ihm diesen Abschnitt seines Lebens verkörperten, zu einem Zyklus zusammenfasste. Was sich bündeln ließ, galt als abgeschlossen.
George begriff seine Entwicklung als Dichter nicht als Aufstieg aus dunklen Anfängen hin zu lichtvollen Höhen, er sah darin keinen evolutionären Prozess, bei dem die jeweils erreichte Stufe nur Vorstufe der nächsthöheren darstellte. Lineares Denken war ihm in jeder Hinsicht fremd. Nach seinem Verständnis beschrieben die verschiedenen Schichten seines Werkes verschiedene Ausformungen ein und desselben Dichtertums. »Sein Leben hat den pathetischen Ton, dass er sich wirklich als Instrument fühlt, auf dem Gottes Finger spielt«, schrieb Gertrud Simmel 1908 nach einem Besuch in Bingen, »und seine Bestimmung ist, dieses Instrument zu sein in einer weltabgeschiedenen stillen Klause … Das Grosse an George ist mir, dass er eben dies Instrument ist, doch immer ist und nichts anderes sein kann und in allen andern Augenblicken eigentlich nicht existiert.« 1
Das Denken in Zyklen ließ den Willen zum Gesamtwerk, zum Werk als einem gegliederten Ganzen, schon früh erkennen. Im Unterschied zu den etwa gleichaltrigen Monomanen der Epoche wie Arno Holz, Theodor Däubler oder Alfred Mombert ging George jedoch nicht nach einem zuvor festgelegten, über die Jahre nur noch modifizierten Bauplan vor. Vielmehr trug er seine Dichtungen
schichtweise zusammen, achtete lediglich auf Anschlüsse und Übergänge und vertraute im Übrigen darauf, dass der Masterplan mit jeder neuen Schicht klarer hervortreten werde. Die zyklische Reihung trat zwar erst mit den Werken des mittleren Lebensabschnitts Der Teppich des Lebens (1899), Der Siebente Ring (1907) und Der Stern des Bundes (1914) deutlicher zu Tage. Sie findet sich als Idee aber bereits in dem Hinweis von 1892, Hymnen Pilgerfahrten Algabal seien als Trilogie zu sehen.
In dem Brief an Ida Coblenz vom September 1895, in dem er seine nächsten Bände ankündigte, hatte George seine neuen Gedichte gleich in Gruppen zusammengefasst. Genau wie die Bücher der Hirten- und Preisgedichte setzte sich auch Das Jahr der Seele aus drei Zyklen zusammen. Seine Entstehung erstreckte sich über fast sechs Jahre; das früheste der Gedichte hatte George im Dezember 1891 Hofmannsthal überreicht, das letzte, ein Widmungsgedicht an Ludwig Klages, fügte er im Sommer 1897 mit Bleistift nachträglich in die Druckvorlage ein. Der Großteil der Gedichte war parallel zu den Gedichten der Bücher der Hirten- und Preisgedichte entstanden und lag im Spätsommer 1895 als Sammelhandschrift vor. Dennoch erschien Das Jahr der Seele erst Mitte November 1897 in zweihundert Exemplaren und sechs Vorzugsausgaben auf Bütten- beziehungsweise Japanpapier im Verlag der Blätter für die Kunst.
Das Jahr der Seele sollte Georges erfolgreichste Sammlung werden und seinen Ruhm begründen. Vor allem die Herbstgedichte des Eröffnungszyklus Nach der Lese und manche Lieder aus den Traurigen Tänzen gehören zum festen Bestandteil deutscher Lyrik-Anthologien. Sich für das eine oder das andere als das schönste der ganzen Reihe zu entscheiden, fällt schwer. Schon Hofmannsthal wollte sich 1903 in seinem
Weitere Kostenlose Bücher