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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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… uneinnehmbaren Festungen rein künstlerischen Formgehalts gar nicht errungen werden konnte, ohne dass der Lyriker die Eindrücke der modernen Großstadt, die ihn verschlingen
und seine Seele zerrütten und parzellieren will … dennoch voll durch sich hat hindurchgehen lassen«. 9
    Kleinstädte wie Bingen, wo alle sich das Maul zerreißen, waren George ein Greuel. Man müsse sich für ein Leben auf dem Land oder für die Großstadt entscheiden, pflegte er zu sagen. Am besten geeignet seien jene Neugründungen, »in deren fiebriger Regsamkeit die Geister geschmeidig werden und ein Ungeahntes mit freierem Blick begrüßen«. 10 Das bezog sich auf Berlin, galt aber keineswegs nur für den Bereich der Kunst. Auch ein Homosexueller konnte in der »fiebrigen« Metropole seinen Neigungen mit größerer Freiheit nachgehen und sich hier ungezwungener bewegen als in der Provinz. Nur in der Anonymität der Großstadt »könne er so seine verschiedenen Beziehungen wie hier haben, seine nächtlichen Gänge unternehmen, u.s.w.«, meinte George später einmal im Gespräch über einen für sein libidinöses Liebesleben bekannten Freund. 11 George und Klein haben die in Berlin sich bietenden Möglichkeiten wohl aktiv genutzt. Folgt man Morwitz, »gerieten beide – und das war das sie Verbindende – in eine fiebernde Erregung, sobald sie Menschen sahen, deren Blick ein dem ihren gleiches Lebensgefühl zu offenbaren schien«. 12 In der Fachsprache wird der hier angedeutete Blickkontakt von Männern auf der Suche nach Gleichgesinnten heute »cruising« genannt.
    Wie stark George auf Berlin setzte und wie stark dabei private, literarische und soziale Interessen ineinanderspielten, zeigte sich im Spätsommer 1898, als ihm Karl Wolfskehl eröffnete, dass er beabsichtige, sich dauerhaft in München niederzulassen. Wolfskehl war nach ihrem gemeinsamen Jahr in München im Juni 1895 nach Berlin gezogen und hatte sich hier unter anderem in eine Affäre mit der Bankierstochter Luisa Dernburg gestürzt, deren Name sich im Titel seines 1897 erschienenen ersten Gedichtbandes als Anagramm Ulais wiederfand. Als ihm Wolfskehl jetzt mitteilte, dass er mit seiner Braut Hanna de Haan nach München ziehen wolle, reagierte George enttäuscht und warnte ihn vor der angeblichen bayerischen Gemütlichkeit: »Etwas verwundert hat mich Ihre fahrt nach M. und Ihr gedanke an die möglichkeit dort zu siedeln. Es ist mir wie Ihnen bekannt,
dass dort das Leben für uns schwieriger ist denn in B., und die gerühmte ›billigkeit‹ nur dem nützt, der sich ganz der bajuvarischen weise anbequemt.« 13
    Nachdem er anderthalb Jahre nicht in Berlin gewesen war, hatte George 1895 und 1896 jeweils große Erwartungen an seinen dortigen Aufenthalt geknüpft. »Ich bin erneut in dieser schrecklichen Stadt, ohne jedoch schon sagen zu können, ob ich dabei mein Ziel erreiche«, schrieb er im Oktober 1895 an seinen Pariser Mentor Saint-Paul. 14 Alle Hoffnungen zerschlugen sich. Stattdessen eine neuerliche gallige Verhöhnung, diesmal aus der Feder des inhaftierten Berufsprovokateurs Dr. med. Oskar Panizza, der sich mit seinem Artikel »Bayreuth und die Homosexualität« soeben bereits den Unmut eines anderen kommenden Großen, Thomas Manns, zugezogen hatte:
    Über das Verhältnis der Symbolisten zum Weibe habe ich die genauesten Forschungen angestellt, aber leider nichts in Erfahrung bringen können. Kein Klatsch, keine Indiskretion, kein Ehebruch, kein breach of promise , geschweige ein uneheliches Kind … Auf der andern Seite muss ich aber ebenso wahrheitsgetreu versichern, dass ich kein Gedicht getroffen habe, welches direct an einen Knaben gerichtet gewesen wäre. Wie dieses Fischgeschlecht sich fortpflanzt, ist noch nicht eruirt. Geheimnisvoll wie ihre erotischen Beziehungen, ist auch alles Übrige an diesem merkwürdigen Geschlecht. Wo sie ihre Bücher drucken lassen, niemand weiß es. Wo sie das körnige Papier hernehmen, gemischt mit Sandelholz, niemand weiß es … Die ›Blätter für die Kunst‹, der Versammlungsort ihrer gemeinsamen Seele, erscheinen nirgends … Die Reihenfolge der Verse und Worte macht den Eindruck, als wäre nur jedes zweite oder dritte Wort irdischer Provenienz, der Rest dagegen in der vierten Dimension gelegen, wo wir groben Irdischen sie eben nicht sehen, und daher die Gedichte nicht verstehen. 15
    Zwar wurde in Berliner Literatenkreisen über George und die Blätter für die Kunst gesprochen, Genaueres wusste jedoch niemand. George

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