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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Quartier, später auch gern im Bayerischen Viertel, residierte aber nach dem
Krieg vorzugsweise in den südwestlichen Villenvororten Grunewald, Dahlem, Schlachtensee und Nikolassee.
    George hatte zu Berlin ein höchst ambivalentes Verhältnis. Er war angewiesen auf diese Stadt, die er nicht liebte und der er doch so vieles verdankte, deren kolossales Tempo ihn abstieß und zugleich faszinierte. Nachdem sich die Einwohnerzahl von 1871 bis 1890 auf mehr als 1,5 Millionen fast verdoppelt hatte, kamen bis zur Jahrhundertwende noch einmal fast eine Million Einwohner hinzu, die zum größten Teil in den noch nicht eingemeindeten, rasant sich ausdehnenden Vorstädten Unterkunft fanden. Allein Charlottenburg wuchs zwischen 1880 und 1900 von 30 000 auf 190 000 Einwohner. Seit 1871 gab es eine Ringbahn, 1882 wurde die Stadtbahn eröffnet, 1897 begann man mit dem Bau der Hoch- und Untergrundbahn. 1894 war das Reichstagsgebäude von Wallot fertiggestellt, zwei Jahr später wurde die Baugrube ausgehoben für den ersten jener glitzernden Konsumtempel, die das Bild Berlins um 1900 dominieren sollten: das Warenhaus Wertheim mit seiner 243 Meter langen Front zur Leipziger Straße.
    Epater le bourgeois , nach dieser Devise hatte sich George, assistiert von Carl August Klein, während der ersten Jahre in Berlin zu behaupten gesucht: provozieren, um sich abzusetzen. Schon kurz nach seiner Ankunft im Oktober 1889 stöhnte der 21-Jährige in einem Brief an Albert Saint-Paul, den Pariser Freund, der ihn ermutigt hatte, nach Berlin zu gehen, da sich dort am ehesten die Chance auf eine literarische Karriere eröffne: »Oh ce Berlin et oh ce Paris!« 6 Als hätte der junge Mann von Welt, der er so gern gewesen wäre, schon nach vierzehn Tagen alle Vorurteile über die Barbarei der Berliner bestätigt gefunden. Auch die Äußerungen der folgenden Jahre reproduzierten vielfach nur die Klischees, die man sich in der Provinz schon immer von der Hauptstadt machte:
    »In der ganzen Berliner hirn nörgel und börsengesellschaft ist kaum einer der uns wahrhaft verstünde« (Anfang 1893 an Ida Coblenz). »Dass Ihnen der aufenthalt in dieser stadt der helden heiden und h…n fürchterlich wird, ist ein gutes zeichen« (Herbst 1897 an Wolfskehl). »… und wäre auch lieber
im süden als in dieser immer peinlichen stadt« (26. September 1898 an Verwey). »Jedesmal empfind ich es mehr … dass kein aufenthalt in uns bekannten wimmel-orten so entwürdigt wie der in Berlin. man muss nur als reisender durchziehen, lächelnd und das ganze nicht begreifend … aber die gefahr kommt sobald man das platt dieser menschen zu erfassen beginnt … sie rücken einem auf den leib, man erwehrt sich, und man gehört dazu!« (Mai 1902 an Sabine Lepsius) »… dieser Berliner mischmasch von unterbeamten juden und huren« (April 1905 an Lechter).
    Was Georges konkrete Berlin-Erfahrungen betrifft, geben solche Bemerkungen über die Gleichmacherei der Großstadt wenig Aufschluss. Sätze wie »Am Alexanderplatz in Berlin fängt Asien an« 7 verraten mehr über den inneren Zustand ihres Verfassers, der permanent in Sorge gewesen zu sein scheint, verkannt oder verwechselt zu werden, als über sein spezifisches Verhältnis zu Berlin. Gerade in der Anonymisierung durch die Metropolen, gegen die er sich so vehement zur Wehr setzte, lag für George eine eigentümliche Attraktivität. »Noch nie soweit wir Geschichte kennen konnte der einzelne solche freiheiten, solche bewegungs-erleichterungen geniessen, noch nie so sicher der plumpen übermacht sich entziehen und bei verhältnismässig geringen anstrengungen sein leben führen in einer fast unumschränkten oberherrlichkeit.« 8 So war 1904 unter der Überschrift »Lob unsrer Zeit« in den Blättern für die Kunst zu lesen. In einem im Jahr zuvor erschienenen Aufsatz »Die Großstädte und das Geistesleben« hatte Georg Simmel gezeigt, dass sich die moderne Kultur ausschließlich in den Metropolen entfalten könne; gerade weil es so schwierig sei, dort die eigene Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, herrsche in den Großstädten der »objektive Geist« der Kultur. Dass die Verlockungen der Großstadt einschließlich ihrer zivilisatorischen Annehmlichkeiten zu den wesentlichen künstlerischen Produktionsbedingungen in der Moderne gehörten, sah auch Max Weber. Es stehe für ihn außer Zweifel, sagte er 1910 in einer Diskussionsrede mit Hinweis auf die Lyrik Stefan Georges, dass »ein solches Maß von Besinnung auf die letzten

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