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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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sozialgeschichtlich einen Rückschritt dar. Als Marie von Bunsen gut ein Jahr später in der Vossischen
Zeitung einen hymnischen Artikel über George veröffentlichte, der als Indikator für den Durchbruch in diesem Winter gelten kann, distanzierte sie sich mit klaren Worten von der Ästhetik Lechters. Die Ausstattung des Jahrs der Seele verharre »auf dem altmodischen und überwundenen Standpunkt unserer kunstgewerblichen Leistungen der achtziger Jahre« und sei alles in allem »ein geschmackloser Anachronismus«. 18
    Es ist schwer zu entscheiden, ob Lechters preziöse Kunst den Durchbruch Georges gefördert hat oder unter dem Strich eher hinderlich war. Legt man ein Exemplar der Hymnen von 1890 neben Das Jahr der Seele in Lechters blau-roter Schmuckausstattung, wird jedenfalls ein eklatanter typographischer Rückschritt augenfällig. Als wären die beiden Bücher in verschiedenen Welten gedruckt, dominiert äußerste Schlichtheit und Strenge auf der einen, ornamentales Raffinement auf der anderen Seite. Der Gegensatz tritt noch schärfer hervor, wenn man sieht, dass George nach Beendigung der Zusammenarbeit mit Lechter genau da wieder anknüpfte, wo er 1895 mit den noch ganz in der puristischen Tradition der Erstlingsbände stehenden Büchern der Hirten- und Preisgedichte aufgehört hatte. Das Erscheinungsbild der Hymnen zeigte gestalterische Elemente der Moderne, an die erst die Bauhaus-Bewegung in den zwanziger Jahren wieder anknüpfen sollte. Die von den Hymnen bis zur Gesamtausgabe 1927 von George bevorzugte radikal textorientierte Typographie, auf deren »geniale neuheit und monumentale einfachheit« George zeitlebens stolz gewesen ist, wurde durch die Lechtersche »Gusseisen-Gotik« nicht nur jäh unterbrochen, sondern geradezu konterkariert. 19 Und doch muss es gute Gründe für George gegeben haben, Lechter vom Jahr der Seele bis zum Siebenten Ring die Gesamtverantwortung für die Ausstattung seiner Veröffentlichungen zu übertragen.
    Was George an Lechter bewunderte, war die Konsequenz, mit der er an seiner kultischen Auffassung von Kunst festhielt, vollkommen unbeeindruckt von allen zeitgenössischen Strömungen. Weil er ein durch und durch unverbildeter Künstler gewesen sei, unbeleckt von den literarischen Moden der Zeit, habe er »sogleich die geistige Sphäre« der Georgeschen Gedichte erfasst und sie als »Werkstücke von einer bisher unbekannten Feinheit und Sorgfalt der Mache« begriffen. 20 George erkannte eine grundsätzliche Verwandtschaft ihres künstlerischen Wollens, und aus dieser gemeinsamen Ausgangsposition heraus akzeptierte er die Lechterschen Entwürfe, auch wenn ihm die übertrieben ziselierte Ausführung bisweilen gegen den Strich ging. Weil er sich von Lechter verstanden fühlte, sah er ihm manche Schwäche nach. »In der stets ehrwürdigen gestalt des bildners Melchior Lechter«, schrieb Karl Wolfskehl 1910, hätten die Dichter der Blätter für die Kunst zum ersten Mal überhaupt einen bildenden Künstler gefunden, der vom gleichen Kunstwillen beseelt gewesen sei wie sie selbst. 21

    Kam in späteren Darstellungen die Rede auf die bildenden Künstler, unter denen George Mitte der neunziger Jahre wichtige Verbündete gefunden habe, wurde gern übersehen, wie mühsam die Anfänge auch auf diesem Gebiet gewesen waren. Im Juli 1894 hatte Carl August Klein einige Maler angeschrieben, um sie auf die Blätter für die Kunst aufmerksam zu machen. Zu den Adressaten, von denen er hoffte, sie interessierten sich für »verwandte bestrebungen«, gehörten Böcklin, Klinger, Hans Thoma und wohl auch Franz von Stuck. 22 Die Aktion brachte nichts. Leider nähmen »die Maler wenig anteil an der werken der dichter«, klagte Klein ein halbes Jahr später in der Allgemeinen Kunstchronik ; jedenfalls bedaure man zutiefst, von dieser Seite »nicht die nötige unterstützung« zu erhalten. 23 Vor dem Hintergrund dieser Bemühungen, mit einigen der arriviertesten Maler der Zeit ins Gespräch zu kommen, erscheint Georges Begeisterung für Lechter umso verständlicher.
    Georges Kunstauffassung war in höchstem Maße konventionell, sein Urteil über Malerei, vor allem über moderne Malerei, oft nicht weniger apodiktisch als sein Verdikt über Musik (deren Ablehnung wohl nicht zuletzt mit ihrer quasireligiösen Überhöhung im bürgerlichen Zeitalter zusammenhing). Für ihn rangierte die Malerei klar hinter der Bildhauerei, 24 und nur weniges ließ er ohne Einschränkung gelten: die italienische

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