Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
seine Gäste in einem talarartigen, braun-violetten Samtgewand, das den Mitgliedern der mittelalterlichen Dombauhütten als Festtracht gut gefallen hätte. In dem
größeren Raum, der ihm als Atelier diente, veranstaltete er gern Hauskonzerte. Der Komponist Conrad Ansorge, der auch George vertonte, spielte Beethoven-Sonaten; Karl Hallwachs, von dem die Blätter 1894 erste George-Vertonungen als Beilage veröffentlicht hatten, begleitete seine Frau Frieda Zimmer-Zerny am Flügel. 38 Wenn George in späteren Jahren einen Abend ungestört mit Freunden zusammen sein wollte, überließ ihm Lechter die Schlüssel zu seinem Refugium.
Der unprätentiöse Handwerker aus dem katholischen Westfalen hatte in einem Berliner Hinterhaus seine unzeitgemäßen ästhetischen Vorstellungen nicht weniger großartig umgesetzt als die literarische Kultfigur des fin de siècle , Jean Floressas des Esseintes in Huysmans’ A rebours . Ein mystisches, amorphes Lebensgefühl war hier in eine eigenwillige, mit Symbolen übersäte Formensprache gegossen. So wie man zu seiner Wohnung in der Kleiststraße pilgerte, um einzutauchen in eine andere Welt, so sollten auch Lechters »sakrale Orchestrierungen« der Georgeschen Gedichte den Leser von allem Profanen befreien: »Es ist, als ob wir einen Raum betreten, der uns auf die Texte einstimmt.« 39 Orgelspielende Engel, Leuchter und Harfen, Weihrauchfässer, Monstranzen, besternte Himmel: Das ganze filigrane Rankenwerk diente keinem anderen Zweck als dem, den Leser in eine weihevolle Stimmung zu versetzen. »Es muß gleichsam dem Beschauer aus dem Buche, ohne dass er es liest, schon beim bloßen Anblick die letzte geheime Schönheit wie ein unerklärlicher feiner Duft daraus entgegenwehen.« 40 Gerade dieses Ziel aber erreichte Lechter nicht. Statt die Typographie funktional in den Dienst des Textes zu stellen und Schrift und Bild zu verschmelzen, betonte er im Gegenteil die Eigengesetzlichkeit und Symbolkraft des Ornaments, das ihm immer mehr zum Selbstzweck wurde.
Lechters kunstgewerbliche Ambitionen kannten keine Grenzen. Zwei Jahre nach dem Jahr der Seele legte er eine Monumentalausgabe des Teppichs des Lebens vor, die dazu bestimmt war, wie ein Messbuch auf einem Lesepult aufzuliegen; allein schon durch den schweren, mit grobem grünen Leinen bezogenen Massivholzeinband und aufgrund seiner ungewöhnlichen Abmessungen (36,5 x 38 cm) wirkte
der Band einschüchternd. 1905 folgte ein Rarissimum der deutschen Bibliophilie, die in Gold und Blau gedruckte, mit je zwei Handmalereien geschmückte Prunkausgabe von Mallarmés Herodias in Georges Übersetzung. Lechter ließ sie in neun Exemplaren herstellen, sieben auf Japan, zwei auf Pergament, und überbot damit den Auflagen-Snobismus Oscar Wildes um ein Vielfaches. 41 Anderthalb Jahre später kam es zwischen George und Lechter zu einem offenen Dissens, der ihre unterschiedlichen Positionen deutlich werden ließ. Für das Maximin -Gedenkbuch wünschte sich George als Frontispiz ein Foto des Verstorbenen, Lechter lehnte das neue Medium als unkünstlerisch ab. George setzte sich durch. Er ließ Lechter die Arbeit am Siebenten Ring zu Ende führen und übertrug ihm auch in Zukunft eine Reihe kleinerer Projekte, aber die ihm wichtigen Bücher erschienen von nun an ohne den Lechterschen Schmuck.
Nach dem Krieg ging George weiter auf Distanz und stimmte immer öfter in die Kritik seiner Freunde ein. »Mit einem Blick von kaum 1 Minute und einer Banalität die beleidigen konnte, wird jahrelang Gewerktes abgetan«, beschwerte sich Lechter 1922 bei Wolfskehl über einen Besuch Georges. »›Ach, die vielen Strichelchen und Pünktchen!‹ Ist der stereotype Ausruf. Gott, es ist ja auch nur Bildende Kunst!« 42 Die Bilder erinnerten ihn stark an Makart, meinte George drei Jahre später anlässlich einer Lechter-Ausstellung, schon die Motive wirkten ziemlich abgestanden. Und als Landmanns zwei Jahre später ein Lechter-Gemälde erwarben, spottete er, Lechters Kunst sei wirklich »das Höchste im Reich des Harmlosen«. 43
3
Entscheidend für Georges Durchbruch im Herbst 1897 wurde die Begegnung mit drei Personen, die sich untereinander zwar gut kannten, deren Interesse an George aber unterschiedlicher nicht hätte sein können. Sabine Lepsius, Richard M. Meyer und Georg Simmel waren nur ein paar Jahre älter als George, aber mit den Ränken und Kabalen
im Beziehungs- und Interessengeflecht des künstlerischen und intellektuellen Milieus von Berlin seit langem
Weitere Kostenlose Bücher